Der Pekinese aus Blei – oder die Angst vorm kleinen Hund

Guckt lieb, apportiert aber mühelos ein totes Kaninchen: Lilli, Kleine Münsterländerin, 52 cm Schulterhöhe, 22 Kilo.

Guckt lieb, apportiert mühelos ein totes Kaninchen: Lilli, Kleine Münsterländerin, 52 cm Schulterhöhe, 22 Kilo.

Vor 16 Jahren wurde aus der Gefahrhundeverordnung die Hundeverordnung

Wir leben jetzt im Jahr 2016. Das heißt, dass alle Hundebesitzer seit 16 Jahren mit etwas leben müssen, das man Hundeverordnung nennt. Früher gab es in NRW eine „Gefahrhundeverordnung.“ Wer das hört, denkt vielleicht, ach, das klingt jetzt aber weit weniger kompliziert. Das Beamtendeutsch täuscht, wie oft. Früher gab es spezielle Vorschriften für einzelne Vierbeiner, die sich als potentiell gefährlich erwiesen hatten. Diese wurde dann durch den Generalverdacht gegen alle, die deutlich größer als eine Katze sind, bzw. bestimmte Rassen ersetzt.

Wie das älteste Haustier unter Generalverdacht kam

Hunde sind unbestritten die ältesten Haustiere. Die cleveren Schwanzwedler haben es geschafft, uns seit mindestens 15.000 Jahren um die Pfote zu wickeln. Im Ausgleich für einige Schnüffel-, Boten- und Wachdienste spendieren wir ihnen Obdach und Futter, den Tierarzt und Flohpulver.

Wie kam es dazu, dass unser eher gemütliches als aufregendes Alltagsdasein derartig in den Fokus der Behörden geriet? Dass plötzlich nach „polizeilichem Führungszeugnis“ gerufen wurde, sowohl Zwei- als auch Vierbeiner sich Prüfungen unterziehen müssen, dass man bis heute trotz saftiger Steuern statt eines Dankeschöns eher Häme und Genörgel zu hören kriegt und bei einem übersehenen Hundehaufen ordnungsliebende Lokalpolitiker am liebsten den Staatsschutz einschalten möchten?

Der Anlass war in der Tat ein besonders schreckliches Ereignis. Es war im Jahr 2000, als in Hamburg zwei Pitbull-Terrier einen kleinen Jungen töteten. In der Folge verfiel die deutsche Ordnungsverwaltung in allen Bundesländern in Panik und brütete in Windeseile Ideen aus, wie man die zur Bestie mutierten „besten Freunde“ an die kurze Leine legen könnte, obwohl es bereits Vorschriften für den Umgang mit bissigen Hunden gab. Diese wurden jedoch oft nicht konsequent angewendet. So waren die Angreifer in Hamburg bei den Behörden bekannt; einer der Hunde hätte nur mit Maulkorb ausgeführt werden dürfen. Man verschärfte also die Bestimmungen, indem man ungeniert vorverurteilte. Rasselisten mussten her. Meist hielt man sich an die übliche Einordnung nach ihren Haupteinsatzgebieten als Grundlage für ihre potentielle Gefährlichkeit. Am verdächtigsten schien die Gruppe der „Kampfhunde“, schon wegen des Namens.

Wer ist aggressiver – Hund oder Herrchen?

Diese Rassen, zu denen unter anderem Pitbull, Staffordshire-Terrier und Bullterrier gehören, wurden in vorigen Jahrhunderten gezüchtet, um ihre Haut in den damals als Sportart beliebten und heute in fast allen Staaten seit langem (in England seit 1835) verbotenen Hundekämpfen zu Markte zu tragen. Wie Schutz-, Fährten- oder Jagdhunde müssen Vierbeiner dafür ausgebildet werden, deren Lebenszweck darin besteht, Artgenossen kurz und klein zu beißen, bzw. nicht wegzulaufen, wenn es ihnen selbst ans Leder geht.

Das Training ist grausam und offenbart vor allem den kaltherzigen und blutdürstigen Charakter der zweibeinigen Besitzer. Diese scheren sich keineswegs um Bedenken wie die Strafbarkeit ihres Tuns. Der Grund liegt auf der Hand: Sie gehören selbst öfter zum kriminellen Milieu. Wenn die „überlegene Spezies“ Gewalt für etwas Normales hält, ist es nicht unbedingt verwunderlich, dass die von ihnen bevorzugten Bellos öfter zuschnappen als andere.

Beißen können sie leider alle…

Genau betrachtet, finden sich aber in allen Rassen Exemplare, denen irgendwas den Spaß am Zusammenleben mit den Zweibeinern verdorben hat. Fühlen sie sich bedroht, zeigen sie ihre 42 Zähne, ein beeindruckendes Waffenarsenal, vor allem bei den größeren Exemplaren des Canis familiaris. Daher ist die Erkenntnis, dass prinzipiell alle Angehörige der Gattung zubeißen können, keine Überraschung.

In Niedersachsen kam angesichts dieser jetzt aktenkundigen Einsicht jemand auf die Idee, dass man vielleicht eher die Besitzer als die Vierbeiner unter die Lupe nehmen sollte, was logisch scheint. Allerdings sollte man bedenken, dass bei dem Thema gefährliche Hunde auch viel übertrieben wird. Die überwiegende Mehrheit der gemischten Mensch-Hund-Rudel liebt Frieden, Spaziergänge und Leckerlis.

Wer weiß schon, was ein größerer Hund ist?

Leider ist – außer in Fachzeitschriften – wenig sachlich fundierte Berichterstattung in den Medien zu erwarten. Manchmal scheint es, als seien Hundephobiker und eingeschworene Katzenfreunde in den Redaktionen in diesem Fall bevorzugte Autoren. Kein Wunder, dass es gelegentlich zu unfreiwillig komischen Patzern kommt, so wie kürzlich in einem Beitrag einer regionalen Tageszeitung. Es wird geschildert, wie unterschiedlich die Gesetzgebung in den einzelnen Bundesländern sei. In Nordrhein-Westfalen gebe es zwar noch eine Liste der „gefährlichen Rassen“, aber bereits eine Prüfung für Besitzer größerer Hunde. Und was stellten sich die Autoren des Berichts darunter vor? Ein Tier ab 20 cm Schulterhöhe und 40 Kilo Gewicht!

Vermutlich haben sie niemals einen lebenden Hund aus der Nähe gesichtet. 20 cm Schulterhöhe, das ist allenfalls Pekinesengröße. Wie ein solches Zwerglein es auf 40 Kilo Lebendgewicht bringen soll, ohne aus Blei zu bestehen, ist schleierhaft. So viel wäre bei einem Deutschen Schäferhund normal – mit 65cm Schulterhöhe! Natürlich sind hier die Zahlen vertauscht worden. Gemeint sind nämlich Hunde mit mehr als 40 cm Höhe und 20 Kilo Gewicht. Vor einem Pekinesen aus Blei muss sich niemand fürchten…

Zeichnung: Monika Zybon-Biermann

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