“Kindheit in der Zechensiedlung” – Heute einmal anders

“Kindheit in der Zechensiedlung” – Heute

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Kegeljunge Cawi

einmal anders

Vorbemerkung:
Die Serie „Kindheit in der Zechensiedlung” von B. Howarde hat unser Redaktionsmitglied Cawi Schmälter beflügelt, ebenfalls eine kleine Geschichte über ein Kindheitserlebnis in der „Kolonie“ niederzuschreiben. Wenn unseren Lesern ähnliche Begebenheiten einfallen sollten: Nur zu! (K.N.)

Kegeln in der Gaststätte Elling

Leopold, ein in unserer Nachbarschaft wohnender pensionierter Handwerksmeister, ging einmal in der Woche zum Kegeln. Mich als sportlich interessierten 12-Jährigen beeindruckte er mächtig mit den Schilderungen seiner schwierigen Kunstwürfe, da ich dem schwächlich wirkenden und aus meiner damaligen Sicht auch uralten Rentner das eigentlich nicht zugetraut hatte.

Die Kegelbahn der Gaststätte Elling an der Mengeder Straße kannte ich bis dahin nur aus den Erzählungen der Bergbau-Invaliden, die sich an schönen Sommertagen zum Skatspielen in unserem Garten aufhielten und bei denen ich als stiller „Kiebitz“ alles über das „Reizen“ erfahren wollte.

Zu einer Zeit, als die heute übliche Kegelbahnautomatik noch nicht erfunden war, man also zum Aufstellen der Puppen noch eine (meist jugendliche) Hilfskraft benötigte, lockte Leopold mich mit einem versprochenen Stundenlohn von immerhin einer D-Mark, zum nächsten Kegelnachmittag mitzukommen. Na ja, das Geld konnte ich gut gebrauchen, denn auf der aus meiner nur mit Groschen und Pfennigen gefüllten Spardose zu finanzierenden Wunschliste stand zuoberst ein (gebrauchtes) Fahrrad, das mir einer der Skatspieler versprochen hatte.

Wir trafen ein wenig zu früh auf der Bahn ein. So ergab sich die Gelegenheit, dass Leopold mir erklären konnte, der König (für alle Nichtkegler: Die Figur in der Mitte von „Allen Neunen“ mit der angedeuteten Krone auf dem Kopf) sei natürlich der wertvollste und am schwierigsten zu treffende Kegel überhaupt. Das drücke ja schon allein die Bezeichnung „König“ aus. Meine Hochachtung für seine Kegelkünste wuchs ins Unermessliche, denn er schaffte es dreimal hintereinander, den von mir solitär aufgestellten König umzuwerfen. Seine Kugel eierte gemächlich von links nach rechts um dann kurz vor dem Ziel das begehrte Holz mittig zu treffen.

Als dann seine Kegelbrüder eintrafen, ging es richtig los. Bei den ersten Spielen hatte ich ordentlich zu tun, den man spielte „in die Vollen“. Meine Aufgabe, nach jedem Wurf so schnell wie möglich für den nächsten Kegler wieder alle Puppen aufzustellen, bereitete mir wenig Mühe. Auch Leopold erzielte dabei ganz brauchbare Ergebnisse, denn seine Kugel blieb immer auf dem Parkett.

Dann war Bilderkegeln angesagt. Nun waren die Treffer seltener. Und mein Kegel-Idol versagte jetzt zu meiner Überraschung kläglich. Seine Würfe hätten wohl jedes Mal den König weggeputzt, aber der war ja nicht mehr da. Später am Nachmittag, als gerade wieder eine Runde Bier verteilt wurde, erhielt ich die ernüchternde Gewissheit: Ein anderer seiner Kegelbrüder bestätigte mir, dass Leopold der schlechteste Kegler ihres Clubs sei.

Er habe noch nie in seinem Leben einen Bauern (das sind bekanntlich die am weitesten außen stehenden Figuren) geholt. Es wäre jedoch eine kleine Belohnung für mich drin: Sollte es der Zufall wollen, dass Leopolds Kugel einmal in Bauernnähe ankomme, möge ich doch mit einem kleinen – vom Kegler natürlich nicht wahrnehmbaren – Stoß nachhelfen.

Es gelang tatsächlich: Beim 12. Bild im „Fredenbaum“, bei dem nur zwei einsame Bauern darauf warten, getroffen zu werden, kullerte Leos Kugel tatsächlich weiter als gewöhnlich nach rechts. Ich nutzte die einmalige Chance, mein winziger – von den inzwischen schon reichlich alkoholisierten Keglern nicht bemerkter – Kick schaffte das Wunder. Der Bauer lag flach und Leopold war glücklich: Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er es geschafft. Da musste einfach noch eine Runde bestellt werden, bei der ich natürlich auch nicht vergessen wurde.

Meine Bilanz konnte sich sehen lassen: Drei Mark für das Aufstellen der Kegel und zwei Mark als Belohnung für meinen gelungen Trick machten mein Sparschwein schon ein wenig fetter. Dazu für die nächste Zeit eine Daueranstellung als Kegeljunge. So gelang es mir sogar, statt des gebrauchten, schließlich sogar ein neues Fahrrad – und das sogar mit Gangschaltung – kaufen zu können.

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