Corona-Quarantäne und “Stubenarrest”(5)

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Was machen Menschen in unserem Stadtbezirk in Zeiten der Krise?

Wir haben uns umgehört und eine kleine – nicht repräsentative – Umfrage gestartet. Wir bekamen Antworten, wie die Menschen in unserem Stadtbezirk mit dieser ungewöhnlichen Situation umgehen. In einer kurzen Serie stellen wir unseren LeserInnen ihre Reaktionen vor.

Heute mit: 
Carl-Wilhelm (Cawi) Schmälter

Vor Corona: Wöchentliches Training der Oldies vom TV Mengede

Mit Sütterlin gegen die Corona-Lethargie

Was mir fehlt, ist die Sportstunde am Dienstag-Abend mit meinen Oldies vom TV Mengede. Kein Palaver über eine vergebene Chance – war der Ball auf der Linie oder im Aus – keine gemeinsame Duschorgie – kein Fachsimpeln über den BVB, ich fürchte, das wird wohl noch lange so bleiben.

Statt dessen eine staatlich angeordnete Kontaktsperre, möglichst zu Hause bleiben, das ist schon ungewohnt. 

Was gibt es für Alternativen? Aufräumen ist angesagt. Zunächst der PC. Über die letzten Jahre hatte sich dort eine Menge angesammelt. Nach der leider notwendigen Umstellung auf das aktuelle Betriebssystem Windows 10 und einer damit verbundenen Neuanschaffung eines leistungsstärkeren Rechners scheint die Gelegenheit günstig, vielen der angesammelten Dateien den Garaus zu machen.

Cawi’s neuer Hochleistungsrechner

Die sich dann anbahnenden Probleme ahne ich sofort. So einfach die „Entf.-Taste“ zu drücken, das geht gegen mein Naturell. Geboren 1944, geprägt durch die darbungsreiche Nachkriegszeit, fällt es mir schwer, mich von Gegenständlichem und sogar Digitalem zu trennen. Irgendwann könnte ich es vielleicht noch einmal verwenden. Dass dann eine oft erfolglose Suche losgeht, steht auf einem anderen Blatt. Meine Altersgenossen werden mir zustimmen, bei den Jüngeren, die im Wegwerf-Zeitalter groß wurden, kann ich hingegen auf kein Verständnis hoffen.

So hakte es schon bei den Fotos: Ich bringe es nicht übers Herz, mich von den über die Jahre blass-farbig gealterten Dias, die sich nach ihrer Digitalisierung natürlich auch noch analog in Massen im Schrank befinden, zu trennen. Obwohl, das gebe ich zu, sie seit Jahren nicht mehr angeschaut wurden. Freundlich mir zugedachten Post- oder Glückwunschkarten gewähre ich ebenfalls Ewigkeitswert. Briefe, früher noch handgeschrieben, heute fast nur noch Online, halte ich in Ehren. 

Um es kurz zu machen: Ich komme nicht von der Stelle, da ich jedes Teil vor seiner Entsorgung auf seine mögliche Weiterverwendung eingehend inspiziere.

Zeit für eine Sütterlin-Schrift-Übersetzung

Rettung und Ablenkung erfahre ich dann überraschend von einem guten Freund. Bei seiner häuslichen Aufräum-Aktion war ihm ein seitenlanges Schriftstück in die Hände gefallen, das sein Großvater verfasst hatte. Sein Problem: Das Ganze ist in Sütterlin geschrieben. Die von ihm in diesem Text entdeckte Jahreszahl 1899 schien darauf hinzudeuten, dass es etwas Bedeutsames beinhalten könnte. Meinem Freund kommt bei dieser Gelegenheit in den Sinn, dass ich vor vielen Jahren beruflich bedingt diese Schrift erlernt hatte und bittet mich, die ihn an Hieroglyphen erinnernden Buchstaben zu entziffern. Der Corona-Stubenarrest, so überzeugt er mich, sei geeignet, sich damit zu näher zu befassen.

Und so mache ich mich ans Werk. Erfreut stelle ich fest, dass mir die Schriftzeichen noch geläufig sind. Das Lesen bereitet mir wenig Mühe. Es ist leider kein Testament, es ist ein umfangreicher Bericht über eine Reise an den Rhein. Opa hatte sich mit zwei Freunden in jungen Jahren aufgemacht, den Rhein stromaufwärts von Köln bis Basel zu erkunden. Heute sicherlich vergleichbar mit einer Weltreise. Dass er nach mehr als 120 Jahren auch mir eine Freude macht und mich von der Corona-Lethargie wenigstens zeitweise erlöst, konnte er damals nicht ahnen.

Für alle, die vielleicht auch noch ein Dokument in deutscher Schrift besitzen, hier zur Übung ein Textauszug aus Opas Reisebericht und dazu das Sütterlin-Alphabet als Identifikationshilfe:

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