Schreihälse – Eine Kolumne von Peter Grohmann

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Schreihälse

Eine Kolumne von Peter Grohmann

Was das Schreien angeht: “Da musste lange loofen, biste een findst, der lauter is als der Peta”, erzählte meine Omi Glimbzsch in Zittau der buckligen Verwandtschaft. Richtig laut nützt in diesen Zeiten aber eh’ nix – die Plätze sind leer, bis auf ein paar Schreihälse von AfD und Reichsbürgerinnen, die ihre schwer verletzten Grundrechte vorm Verbrennen auf dem Scheiterhaufen der Geschichte retten wollen. Selbst wenn Donald oder Boris schreien, hört die Welt weg: Tröpfcheninfektion!

90 % der Deutschen sind auf Teufel komm raus der Meinung, dass alles so weitergehen soll wie bisher. Klar, 45 % wollen endlich mal wieder ins Möbelhaus, die anderen wahlweise zur Mutti im Altenheim oder zu den Enkeln im Sandkasten. 5 % würden sogar interkulturelle Lieder singen (Solidarität mit Afrika), wenn sie wieder in die Kirche dürften, aber insgesamt und wegen der vielen undurchsichtigen wissenschaftlicher Expertisen bleiben sie im wohlig-warmen Heim: Kurzarbeit, 30 % Lohneinbußen. Eine Gruppe von Anstiftern arbeitet eben an einem Appell an die Abgeordneten in Bund und Ländern, auf 30 % ihrer Diäten zu verzichten.

In den USA beten und streiten Präsident und Evangelikale gemeinsam für längere Ladenöffnungszeiten und die Trump-Industrie freut sich über eine so noch nie dagewesene Nachfrage nach Waffen. Die Opposition bereitet schon mal Trauergottesdienste vor. Bei uns traut man zwischen Nordsee und Oderstrand bzw. von der Maaß bis an die Memel der deutschen Regierung alles zu. Selbst eine Diktatur würden man hinnehmen, wenn man gesund bliebe, und die Wählerei alle furzlang kann man sich notfalls schenken. Die Fieberkurve von CDU/CSU zeigt steil nach oben. Ob Nordkorea, Norditalien, Norderney oder Nordafrika – gebildete Menschen wissen, was die Krupskaja oft zu Lenin sagte: Genosse, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Zivilgesellschaftlich relevant ist da das Wettern der Woche. Allerdings glaubt der Schreihals vom Dienst anders als seine Gegnerinnen nicht, dass wir heute in einer Demokratie schlafen gehen und morgen völlig verpennt in einer Diktatur aufwachen werden. Dann nämlich wäre die Zivilgesellschaft keinen Pfifferling wert. Das ändert nichts daran, dass der Kapitalismus plötzlich ganz kaputtgegangen ist. Online lässt sich der nicht mehr reparieren.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnSifter. peter-grohmann@die-anstifter.de
Wir danken Peter Grohmann für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne.

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