Auf eine Tasse Kaffee…

Heute mit:

…dem Dorstfelder Cartoonisten Holga Rosen

Portrait © Holga Rosen

Vorbemerkungen:
Der Cartoonist Holga Rosen ist 51 Jahre alt, hat mit seiner Partnerin zwei gemeinsame Kinder (5 und 7 Jahre) und einen Hund und wohnt in Dorstfeld.
Aufgewachsen ist er im Gebiet zwischen der B1-Kreuzung Voßkuhle, Do-Hörde und der Gartenstadt. Er hat zunächst die Kerschensteiner Grundschule und danach das Humboldt-Gymnasium besucht  (die heutige Gesamtschule Gartenstadt – Er gehörte zum vorletzten Humboldt-Jahrgang).
Bevor er hauptberuflich Cartoonist wurde, hat Holga Rosen Praktika in einer Kunstgalerie und einer Werbeagentur absolviert, fuhr mehrere Jahre Taxi und studierte ein paar Semester Grafik-Design und Kamera/ Film/ Fernsehen an der FH Dortmund.
Seit 1998 veröffentlicht der Künstler regelmäßig Cartoons, zunächst einmal wöchentlich die „StadtneuRosen“ in den Ruhr Nachrichten, später kam zweimal monatlich der „Westfalenspiegel“ dazu, vor zwölf Jahren begann er dann mit überregionalen Veröffentlichungen in z.B. Titanic, Eulenspiegel, Stern u.v.a.
Seit 2017 arbeitet er für die viermal monatlich erscheinende Zeitschrift „Psychologie Heute Compact“.
Mit MIT arbeitet er seit dem Herbst letzten Jahres zusammen. Wöchentlich präsentiert er eine Zeichnung zu gesellschaftlichen Themen unter der Rubrik „Cartoon des Tages“.
Als Autodidakt beschäftigt er sich gerne mit den verschiedensten künstlerischen Bereichen: Neben seiner Haupttätigkeit als Cartoonist ist er Mitbetreiber des Roxy Kinos in der Münsterstraße. Außerdem interessiert er sich für das Medium Film und dreht gelegentlich Kurzfilme, Musikvideos etc. Er begeistert sich für alles, was in irgendeiner Form dazu taugt, sich gestalterisch zu betätigen und auszuleben. (G. G.)

Das Interview mit Holga Rosen hat Gabriele Goßmann* geführt.

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Wie lange brauchen Sie für einen in der Zeitung abgedruckten Cartoon?
Fürs reine Zeichnen brauche ich normalerweise zwischen 15 und 45 Minuten. Manche Sachen sind aber auch aufwändiger, an einem Beitrag für die „Psychologie Heute Compact“ zum Beispiel sitze ich ein bis zwei Stunden. Das eigentlich Zeitaufwändige ist die Ideenfindung, da kann es schon mal Tage dauern, bis ich die richtige Pointe gefunden habe. Ich brauche auf jeden Fall einen gewissen Zeitdruck, eine Deadline, um kreativ zu werden.

Ihre Cartoons sollen Ihrem Anspruch nach explizit unpolitisch sein. Wie schaffen Sie es, sie strikt vom politischen Geschehen zu trennen?
Ich greife zwar gesellschaftliche Themen auf und nehme sie aufs Korn, verwende jedoch selten reale Namen. Dadurch wird die Message trotz ihrer Aktualität abstrakter. Dass meine Cartoons nicht explizit politisch sind, liegt schlicht und ergreifend daran, dass ich mich noch nie für Politik interessiert habe und daher keine Ahnung von der Materie habe.

Ist jeder Cartoon auch gleichzeitig eine Karikatur?
Eigentlich ist Cartoon ja nichts anderes als die englische Entsprechung für Karikatur. Trotzdem bezeichne ich mich als Cartoonist, und NICHT als Karikaturist, weil ich mit Karikaturen immer diese lustigen Witzzeichnungen von Prominenten verbinde. Politiker zum Beispiel, oder Schauspieler. Und die Leute lachen dann, weil man die Figuren eindeutig an ihren typischen Merkmalen erkennt, der dicken Nase, den buschigen Brauen und so weiter. Ich bewundere Zeichner, die das drauf haben – mir liegt das aber nicht. Lieber fertige ich Bilderwitze mit meinen ganz eigenen, neutralen Figuren, und die Überspitzung besteht dann vielmehr in der Situation oder der Pointe.

Wie finden Sie Ihre Pointen?
Meistens ganz witzig.

Anders gefragt: Wie filtern Sie die wesentlichen Elementefür die Endfassung eines Cartoons heraus?
Da nicht viel Platz zum Schreiben zur Verfügung steht, muss ich generell versuchen, mich möglichst kurz zu fassen. Es kommt auf das harmonische Zusammenspiel von Text und Bild an und darauf, dass die Elemente übersichtlich gestaltet sind. Am Ende entscheidet aber jeder Betrachter für sich, ob der Cartoon gelungen ist oder nicht.

Ihre erste Comicreihe, Ronni Reinoldi, die Sie im Alter von 17 Jahren in den Ruhr Nachrichten veröffentlicht haben, wurde durch die Redaktion gekürzt, abgeändert und nach Folge 11 wieder abgesetzt. Heutzutage ist Ihr Cartoon aus der Zeitung gar nicht mehr wegzudenken. Wie haben Sie die Redaktion überzeugt, doch noch weiterzumachen?
Dass “Ronni Reinoldi” damals gefloppt ist, lag vermutlich an mangelnder Kommunikation. Ich war reichlich naiv und habe wild drauflos gezeichnet, ohne mir die geringsten Gedanken darüber zu machen, ob und wie man die Sachen ins Layout integriert bekommt. Aber anstatt mir zu erklären, wie es richtig geht, wurde alles irgendwie zusammengeschustert, und wenn ich dann den abgedruckten Comic gesehen habe, war ich frustriert. Nach einem halben Jahr war dann Schluss, und ich hatte erst mal die Nase voll von Zeitung.
Aber so ganz hab ich es dann doch nie aus dem Kopf bekommen. Zehn Jahre später habe ich den Ruhr Nachrichten das Konzept “StadtneuRosen” vorgestellt, und die laufen ja bis heute.

Würden Sie sagen, dass sich Ihre Zeichnungen mit den Jahren entwickelt haben?
Und wie! Wenn ich mir die ersten “StadtneuRosen” ansehe, möchte ich im Boden versinken. Die hatten einen total dilettantischen Strich, völlig lieblos hingeschludert. Ich weiß gar nicht mehr, was ich damit bezwecken wollte, außer so wenig Arbeit wie möglich zu haben. Von den platten Pointen ganz zu schweigen! Meinen Zeichenstil habe ich dann in den folgenden Jahren total oft verändert, weil ich lange überhaupt nicht wusste, wo ich eigentlich hin will. Erst vor fünf oder sechs Jahren, als ich das erste Mal auf einem Grafiktablett gezeichnet habe, hat es Klick gemacht. Seitdem habe ich endlich das Gefühl, angekommen zu sein. Mit dem Nebeneffekt, dass ich gar kein analoges Malzeug mehr anrühren mag.

Woher nehmen Sie die Inspiration für neue Cartoons?
Ich bin leider niemand, dem Ideen einfach so zufliegen. Einfälle haben bedeutet für mich in der Regel viel Arbeit. Meistens setze ich mich an mein digitales Skizzenbuch und brainstorme wild drauflos. Zwischendurch surfe ich durchs Netz und google Texte zu bestimmten Themen, um mich inspirieren zu lassen. Wenn ich überhaupt nicht mehr weiter weiß oder das Gefühl habe, in einer Sackgasse zu stecken, hilft oft duschen!

Sind Ihre Zeichnungen auch vom Medium Film inspiriert?
Aufgrund meiner Leidenschaft zum Film verarbeite ich gerne mal Filmtitel oder -zitate in den Cartoons. Die Serie “Die Roxyaner” beispielsweise spielte inhaltlich an der Kinokasse. Dort habe ich meine Beobachtungen während meiner Arbeitszeit im Kino mit einfließen lassen. Geld habe ich für diese Serie zwar nicht bekommen, dafür machte es einen Heidenspaß, nerdiges Filmwissen zu verbraten.

Wie hat sich Corona auf Ihre künstlerische und auch wirtschaftliche Lage ausgewirkt?
Wirtschaftlich hat sich Corona glücklicherweise nicht negativ auf meine Tätigkeit ausgewirkt. Die Auftragslage ist für mich im Prinzip gleich geblieben. Künstlerisch ist die Pandemie allerdings eine „Katastrophe“, da sie, obwohl inzwischen alles über sie gesagt und jeder noch so platte Witz über Corona gemacht wurde, einfach nicht verschwinden will.

Mit dem sehr gelungenen Cartoon „Immer nur ein Thema in 2020 – Beethoven“ sind Sie beim Deutschen Cartoonpreis auf dem zweiten Platz gelandet. Ist dieses Thema immer wieder eine neue Inspirationsquelle für Sie oder sind Sie es inzwischen selbst leid, das Virus zeichnerisch zu verarbeiten?
Inzwischen bin ich das Virus als Thema leid, ja. Thematisch treten wir da ja seit zwei Jahren auf der Stelle. Es wird einfach immer schwieriger, einen Witz zu machen, den es nicht schon hundertmal gegeben hat. Und Witze darüber, wie dumm Corona-Leugner oder Nazis sind, sind inzwischen auch abgedroschen.

In manchen Ihrer Cartoons klingt an, dass in Dortmund „der Hund begraben“ liegt. Entspricht es auch Ihrer persönlichen Meinung, dass in der Stadt – jenseits von Corona – ruhig mehr los sein könnte?
Absolut. Auch, wenn ich längst nicht mehr so partyaffin bin, wie noch vor zehn oder zwanzig Jahren: Ich finde, das Ausgeh-Angebot in unserer Stadt, die sich ja gerne als weltoffene Großstadt oder gar Metropole sieht, ist lächerlich.

Im „schauraum: comic + cartoon“ wurden im Rahmen der Ausstellung  „Ganz schön Rosen!“ von Anfang September 2021 bis Ende Januar 2022 etwa 200 Ihrer Zeichnungen präsentiert. Wie kam es zu der Idee einer Ausstellung? Wer hat die Konzeption durchgeführt?
Dank meiner 15 Minuten Ruhm, die ich nach dem 2. Platz beim Deutschen Cartoonpreis genießen durfte, sind die Verantwortlichen des Schauraums auf mich aufmerksam geworden und haben mich gefragt, ob ich mir eine Ausstellung vorstellen kann. Ich habe natürlich sofort ja gesagt. Die Konzeption habe ich selbst durchgeführt, so dass ich im Schauraum einen schönen Querschnitt durch mein bisheriges Schaffen präsentieren konnte.

Welche Bilanz ziehen Sie aus der Ausstellung?
Für mich war die Ausstellung ein absolutes Highlight, schließlich gab es im Schauraum nur die Großmeister zu sehen. Carl Barks, Will Eisner, Hayao Miyazaki. Und plötzlich hingen da meine Bilder. Das war schon ziemlich surreal. “Ganz schön Rosen!” wurde sogar um zwei Wochen verlängert. Insgesamt hat mir die Ausstellung natürlich mehr Aufmerksamkeit gebracht. Zum Beispiel wurde ich im Anschluss vom Künstlerhaus Dortmund eingeladen, meine Bilder während der dortigen “Go Area”-Ausstellung zu zeigen.

Interessieren Sie sich auch für andere Kunstformen?
Wie schon erwähnt, ist meine größte Leidenschaft der Film. Das war schon im Grundschulalter so. Ich bin zwar kein ausgewiesener Cineast, dafür kenne ich mich viel zu wenig in der Filmgeschichte aus, und ich schaue auch gar nicht besonders viele Filme. Aber ich bin ein sehr visueller Mensch. Genaugenommen denke und sehe ich mein eigenes Leben, als wäre es ein Film.

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Im Sommer werde ich nach 25 Jahren das Kapitel Roxy Kino beenden. Ich war mit Leidenschaft Filmvorführer und seit 2011 auch Kinobetreiber, aber irgendwann hatte ich das Gefühl, dass das Kino mehr Belastung als Bereicherung ist. Ich möchte mich ausschließlich auf meine Kunst und meine Familie konzentrieren können, ohne permanent an Filmdisposition und Süßwareneinkauf denken oder meine Abende an der Kinokasse verbringen zu müssen.

Möchten Sie uns dazu schon etwas Genaueres verraten?
So genau weiß ich das gar nicht. Zunächst mal möchte ich natürlich viele neue Cartoons machen. Dann wäre ein Cartoon-Buch toll. Vielleicht eine Cartoon-Bühnenshow, wer weiß. Außerdem möchte ich meinen Kurzfilm, an dem ich seit eineinhalb Jahren arbeite, fertigstellen. Und dann schwirren da noch einige andere Musikvideo- und Kurzfilmideen in meinem Kopf herum. Ich will einfach viele Sachen ausprobieren und mich kreativ austoben.
Wenn ich das Kino nicht mehr habe, bin ich auch nicht mehr so ortsgebunden. Mit meinem Tablet kann ich schließlich an jedem Ort der Welt arbeiten.
Meine Familie und ich träumen seit Jahren von einem kleinen Wohnmobil, mit dem wir, wann immer es die Zeit zulässt, einfach auf Reisen gehen können. Und irgendwann möchten wir ein altes Bauernhaus auf dem Land kaufen, wo ich dann einen ausrangierten Pferdestall zu meinem Atelier umbaue. Oder meinem Filmstudio. Träumen ist wichtig, der Mensch braucht ein Ziel!

MENGEDE:InTakt! hat Holga Rosen gebeten, den (aktualisierten) Fragebogen von Marcel Proust* auszufüllen. Hier ist das Ergebnis:    
Ihr Motto/ Leitspruch?
——–
Aus dem Weltall betrachtet ist alles relativ.
Ihr Hauptcharakterzug?
Weiß nicht.
Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?
Mich auf eine Sache konzentrieren und vernünftig zum Abschluss bringen zu können, anstatt mich ständig mit drei, vier oder fünf Sachen gleichzeitig zu beschäftigen und keine davon zum Ende zu bringen. 
Was verabscheuen Sie am meisten?
Egoistische Menschen.
Ihr Interesse an Politik?
Kein Interesse.
Glauben Sie, Gott sei eine Erfindung des Menschen?
Absolut!
Welche Erfindung bewundern Sie am meisten?
Gott.
Mit wem möchten Sie an einer Hotelbar ein Glas Wein trinken und dabei worüber reden?
John Cusack. Filme können Leben verändern, und “The Sure Thing” von 1985, John Cusacks erste Hauptrolle, gehört zu den sechs oder zwölf Filmen, die mein Leben verändert haben. Darüber möchte ich mit Herrn Cusack reden.
3 Dinge, die Sie mit auf eine einsame Insel nehmen würden?
1 Laptop und 2 Festplatten mit allen Simpsons-Folgen.
Sommer oder Winter?
Sommer. Aber bitte nicht über 25 Grad, Hitze macht mich mürbe. 
Ihre Hobbies?
Mein(e) Beruf(ungen) und meine Familie.
Film oder Buch?
Film!
Welchen Film haben Sie zuletzt gesehen?
Gremlins.
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Zu Ende gelesen? Keine Ahnung. Angefangen habe ich letztens “Traumwelten”, eine David-Lynch-Biographie, und “Die Bilder, der Boschmann und ich” von und über Adolf Winkelmann. Es ist total paradox: Ich liebe Bücher! Aber ich lese einfach nicht gern.
Ihre Lieblingsmusik?
80er Jahre. Ich bin ein hoffnungsloser Nostalgiker! 
Ihre Lieblingsblume?
Rosen.
Ihr Lieblingstier?
Unser Hund Manya.
Essen & Trinken hält Leib und Seele zusammen – auch bei Ihnen? Wenn ja, was ist es?
Fast alles. Und ein leckerer Wein dazu.
 * Der Fragebogen von Marcel Proust
Was denken und fühlen bekannte Zeitgenossen? Diese Fragen faszinierten die Menschen schon immer. Vorbild für diese Fragen ist der wohl bekannteste Fragebogen, der den Namen des französischen Schriftstellers Marcel Proust (1871-1922) trägt. Dieser hat ihn aber nicht entworfen, sondern nur ausgefüllt, das heisst, genau genommen sogar zweimal: Einmal als 13-jähriger auf einer Geburtstagsparty. Dann im Alter von etwa 20 Jahren einen ähnlichen Fragebogen, dem er selber den Titel «Marcel Proust par lui-même» («Marcel Proust über sich selbst») gab. Berühmt wurden die Fragen durch Publikationen z. B. in der FAZ.
MENGEDE:InTakt! hat den Fragebogen etwas aktualisiert.

**Gabriele Goßmann hat vor einiger Zeit zum Team der Buchhandlung am Amtshaus gehört. Sie absolvierte dort eine Ausbildung als Buchhändlerin. Vorher hat sie studiert und das Studium mit einem Masterabschluss in Germanistik und Geschichte erfolgreich beendet. Vor gut zwei Jahren ist ihr lesenswertes erstes Buch erschienen, das wir auf MIT am 1.2.20 ausführlich besprochen haben. Das Erstlingswerk Biblio Berry hat sie unter dem Pseudonym Valentina Wunderlich veröffentlicht. (K.N.)

Fotos: Silvia Rzadkowski

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