Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?
(Berthold Brecht: Dreigroschenoper)
Drei Meldungen in diesen Tagen befassen sich in besonderem Maße mit den Auswirkungen und Folgen der Finanzkrise:
- Die Verbraucher verlieren jährlich einige Milliarden Euro mit windigen Kapitalanlagen. Grund u.a.: Ein Mangel an seriöser Beratung und eine fehlende Regulierung des Kapitalmarktes. Im Bundesfinanzministerium wird derzeit an einem Anlegerschutzgesetz gearbeitet – allerdings mit offenem Ergebnis. Ob und wie sich die Forderungen der Verbraucherschützer realisieren werden, hängt auch damit zusammen, ob sich in diesen Fragen der Finanzminister oder der Wirtschaftsminister durchsetzt.
- Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf gebilligt, der eine Bankenabgabe vorsieht – eine Milliarde Euro sollen so jährlich zusammen kommen. Mit dieser Abgabe sollen Geldhäuser künftig – zur Entlastung der Steuerzahler – selbst dafür aufkommen, wenn sie in Schieflage geraten. Allerdings dürften diese Beträge nicht reichen, denn vorsichtige Schätzungen gehen von 52 Mrd. Euro aus, die die Rettung der Banken die deutschen Steuerzahler kosten dürfte.
- Die Rettung der Banken hat nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ein tiefes Loch in die Staatskasse gerissen. Am Ende des ersten Halbjahres 2010 steht ein Finanzierungsdefizit von 42.8 Milliarden Euro.
Angesichts dieser vorstehenden Meldungen drängt es sich geradezu auf, sich mit zwei Veröffentlichungen zu beschäftigen, die in diesem Sommer erschienen sind. Einmal handelt es sich um das im Econ-Verlag erschienene Buch des Schweizer Wirtschaftsjournalisten Leo Müller: Bank-Räuber. Wie kriminelle Manger und unfähige Politiker uns in den Ruin treiben.
Wer es bisher noch nicht wusste und vertrauensvoll dem Handeln der Regierenden in Bund und Ländern zuschaute, dem dürfte bei der Lektüre dieses Buches ganz anders werden: „Die Finanzkrise ist das Werk einer unheiligen Allianz aus kriminellen Managern und unfähigen Politikern“ schreibt Müller. Er beschreibt an vielen Beispielen, „wie die Deals abliefen, wie die Öffentlichkeit getäuscht wurde und die Wahrheit über die riskanten Geschäfte in den Bankenbilanzen verschwiegen wurde“. (Klappentext).
In der Theorie sollte die Aufsicht des Staates über die Banken unabhängig sein und vor allem zügig arbeiten. Auf Grund der deutschen Besonderheit, wonach die Landesbanken – ebenso wie die zwischenzeitlich verkaufte IKB – in staatlicher Hand sind, sah die Realität ganz anders aus: Für die regionale Politik war es wichtig, die Standorte um jeden Preis zu stützen, auch wenn fehlerhafte Managementscheidungen zu herben und vorhersehbaren Verlusten führten. Auch von dieser Besonderheit abgesehen, die deutsche Finanzkrise hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt mit der Haltung der Bankenaufseher zu außerbilanzlichen Konstruktionen, sogenannten Schattenbanken, die ungeachtet des Enron-Skandals in den USA den allgemeinen Buchhaltungs- und Kapitalregeln für Banken nicht unterworfen wurden. In diesen Schattenbanken hatten deutsche Großbanken im Jahr 2007 dreistellige Milliardenbeträge angelegt. Es ist daher unredlich von der Politik, die Verantwortung für die Finanzkrise allein den Amerikanern anzulasten. Müller nennt dies die „Lehmann-Lüge“ und er stellt fest: „Die Gangster im Schattenquartier der Finanzbranche haben draußen Verbündete, die Schmiere stehen und ihre zweifelhaften Geschäfte mit laschen Regeln und mit miserabel ausgestatteten Aufsichtsbehörden fördern: die Politiker. Sie ermöglichen Schutzgebiete, in denen die Betrüger gedeihen“. Mit anderen Worten: Der deutsche Anteil an der Finanzkrise steht dem amerikanischen keineswegs nach – oder anders formuliert: Die Kernbotschaft der Finanzpolitiker, es sei „nicht vorhersehbar“ gewesen, dass acht deutsche Großbanken, sechs davon im Staatsbesitz, aus „systemrelevanten“ Gründen mit dreistelligen Milliardenbeträgen saniert werden müssen – und zwar zulasten der Steuerzahler – erscheint nach der Lektüre des Buches von Müller wenig glaubwürdig. Im Gegenteil: Es verstärkt sich das Gefühl, für dumm verkauft zu werden. Denn man ist sich bei der Lektüre nicht ganz sicher: Handelt es sich hier nur um Selbsttäuschung der Handelnden oder um eine bewusste Täuschung der Verbraucher oder um beides. Fest steht jedenfalls, dass in Deutschland offensichtlich niemand an einer Aufklärung ernsthaft arbeitet. So unterliegen z.B. die Entscheidungen des Sonderfonds Finanzmarkstabilisierung der Geheimhaltung. Der Bundestag betreibt bis heute keine umfassende Aufklärung – der HRE – Untersuchungsausschuss unter Vorsitz des SPD-Abgeordneten Krüger war eher eine Alibiveranstaltung; vielleicht können sich die Abgeordneten endlich mal zur Einsetzung einer „Wahrheitskommission“ durchringen, wie sie vor einiger Zeit von B. Huber – Vorsitzender der IG-Metall – gefordert wurde. So schwankt denn der Leser des verständlich geschriebenen Buches von Leo Müller zwischen ungläubigem Staunen und ohnmächtige Wut. Letzteres vor allem angesichts der bisher weitgehend erfolgreichen Bemühungen, die Spuren zu verwischen und Aufklärung zu verhindern. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht ohne Folgen für unser politisches Gemeinwesen bleiben wird, sollte sich daran nichts ändern.
In diese Richtung gehen auch die Überlegungen des Publizisten Werner Rügemer und zwar in seinem in der August-Ausgabe der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ erschienen gut 20-seitigen Beitrag: „Bankster vor Gericht – Kollektive Unschuld und systemische Kriminalität“.
Auch Rügemer zeigt an Beispielen, wie die kriminelle Energie der Finanzjongleure in die Finanzkrise geführt hat. Allerdings konzentriert er sich wesentlich auf juristische Überlegungen. Für ihn steht fest: Nach allgemeiner Rechtsprechung ist die Schädigung fremden Vermögens eine Straftat, die demgemäß strafrechtlich verfolgt und geahndet werden muss. Seine These allerdings: „Für die Raubritter der Finanzwelt ist diese Schädigung zum lukrativen Geschäft geworden, denn es geschieht viel zu wenig, um eine grundlegende Kurskorrektur einzuleiten. Der erpresste Staat bleibt untätig und die Bürgerinnen und Bürger werden zur Kasse gebeten.“
An diesem Befund ändert auch die Verurteilung „kleiner Fische“ nichts wie z. B. die des bei der französischen Großbank Société Générale angestellten Händlers Jerome Kerviel, der einen Verlust von 4.9 Mrd. Euro verursacht haben soll; oder die Verurteilung des amerikanischen Vermögensverwalters Bernard Madoff. Er wurde der Geldwäsche, der Urkundenfälschung, des Betrugs und des Diebstahls angeklagt: Er hatte für vermögende Privatkunden 50 Mrd. angelegt und in den Sand gesetzt. Während Bankenverfahren in den USA in der Regel mit einem Vergleich enden, d. h. die Banken kaufen sich durch Strafgelder von öffentlicher Verurteilung frei, wurde Madoff schuldig gesprochen und zu 150 Jahren Haft verurteilt. Der Ökonom Paul Krugmann stelle daraufhin die Frage: „Was hat Madoff anderes getan, als die gesamte Investmentindustrie?“.
Die beruft sich, auch und vor allem in Deutschland auf die „kollektive Fehleinschätzung“ und das „kollektive Unwissen‘“. Nach Auffassung von Rügemer schließen sich „offensichtlich alle kleineren und größeren Täter der kollektiven Unschuldserklärung an, weil sie alle Dreck am Stecken haben“. Das Bild der „kollektive Unschuld“ wird vielfältig durch mediales Trommelfeuer entwickelt. „Wer nach Schuld fragt, liegt falsch“, erklärte Vizekanzler Steinmeier am 14.9.2009 im Bundestag zur Finanzkrise. „Wir sind alle irgendwie auch getriebene der Märkte“, zitiert der „Spiegel“ jüngst Deutsche-Bank-Chef Ackermann. Aber – so Rügemer – „es gibt kein politisches oder ökonomisches System, das nicht vom persönlichen Einsatz, vom Erfolg oder Scheitern namentlich benennbarer und hierarchisch zugeordneter Individuen abhängig gewesen wäre“. Für Rügemer ist das Leugnen einer persönlichen und rechtlich fassbaren Schuldfähigkeit daher der Versuch „der Haupttäter wie der weniger schuldigen Mittäter sich in den Schutz der Kollektivschuld-Familie (zu) flüchten“. Das will er nicht gelten lassen, vor allem weil „in der Finanzkrise Finanzakteure und Regierungen zusammengewirkt (haben), um Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft immer weiter auszuhebeln.“ Und weiter heißt es: „Die Finanzakteure erpressen und nötigen den Staat und die Bürger dauerhaft und wälzen die Folgen ihres Handelns mit Hilfe staatlicher Gewalt auf unbeteiligte Dritte ab. Sie zerstören privates und öffentliches Eigentum“. Zum Schluss seiner Überlegungen in den „Blättern“ erinnert Rügemer an die von der Gesellschaft zu leistende Aufgabe, nämlich „die Schuldigen klar zu benennen. Wo sie gegen geltendes Recht verstoßen haben, muss es zu Anklagen kommen“.
Dem ist nichts hinzuzufügen – auch wenn man – nicht erst nach der Lektüre der beiden Veröffentlichungen – das Gefühl hat, dass Finanzakteure und Politik sich in unserem Lande große Mühe geben, ihre Spuren zu verwischen. Vielleicht kommt etwas Bewegung in die Angelegenheit durch die Entscheidung eines US-Gerichtes, über die am 24.8. in den Medien berichtet wurde. Danach muss die amerikanische Notenbank (Fed) ihr Vorgehen bei der Bankenrettung während der Bankenkrise offenlegen – immerhin ein Hoffnungsschimmer für diejenigen, die sich mit der bisherigen Aufarbeitung der Krise in Deutschland nicht zufrieden gegeben haben. Die Fed hatte eine Offenlegung bisher mit der Begründung abgelehnt, diese gefährde die Stabilität anderer Geldhäuser.