Frauenpower im Stadtbezirk – Ein Einsatzbericht vom Dietrich-Keuning-Haus

Was tun gegen Angst, Trauer und Schmerz?

Helfen! *

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Kurze Kaffeepause G. Feldmann u. S. Dettke

„Wir brauchen hier Hilfe, bitte kommt“, so begann ein Telefonat im September 2015. Dieser Hilferuf kam von Bianca, Pfadfinderin und Tochter meiner Freundin Sylvia  Dettke. Bianca war in der Nacht vom Samstag auf Sonntag am Dortmunder Hauptbahnhof, um ankommende Flüchtlinge zu begrüßen, die dann ins Dietrich-Keuning-Haus begleitet wurden. Meine Freundin Sylvia und ich machten uns sofort auf den Weg, das war am Sonntag gegen 8.00 Uhr.

Die Polizei hatte großräumig das gesamte Gebiet um das Dietrich-Keuning-Haus abgeriegelt, wir wurden von Bianca am Eingang abgeholt, bekamen unsere Legitimation, dass wir Helfer sind und ließen uns einweisen.

Die Skaterhalle war umfunktioniert als große Kleiderkammer. Im Dietrich-Keuning-Haus direkt standen Unmengen an Tischen und Stühlen, das DRK hatte in der oberen Etage ärztliche Notfallzimmer eingerichtet, die HelferInnen vom THW trugen weitere Tische und Stühle in die Räumlichkeiten. Ganz viele Helfer halfen mit, deckten die Tische ein und verteilten Getränke und  Kekse. Sylvia und ich waren eingeteilt, von der Sonnenstraße Spenden abzuholen und in die vorgesehenen Räume zu verteilen. Unzählige Menschen  standen dort geduldig mit ihren Pkws in einer Schlange und warteten, dass HelferInnen  die Kleider- und Getränkespenden sowie Hygieneartikel entgegennahmen, die in großen Mengen mitgebracht wurden.

Gegen 13.20 Uhr kam der nächste Zug mit Flüchtlingen am Dortmunder Hauptbahnhof an. Die Menschen wurden zum Dietrich-Keuning-Haus geleitet. Das DKH war als ein Zwischenziel ausgesucht worden, um die Flüchtlinge dort mit Nahrung und Kleidung zu versorgen und sie vor allem erst einmal einen Augenblick zur Ruhe kommen zu lassen.

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Was dann passierte, ist schwierig in Worte zu fassen: Etwa 850 Menschen, unter ihnen viele Kinder, betraten das Dietrich-Keuning-Haus. HelferInnen waren sofort zur Stelle und begrüßten freundlich lächelnd die Menschen. Meine Freundin und ich standen mitten drin, so dass wir körperlich  die Ängste, häufig Trauer und  Schmerz, aber auch Erleichterung der Menschen spüren konnte. Wir konnten uns nicht erinnern, jemals eine ähnlich  Situation erlebt zu haben: Einerseits bedrückend, ja beklemmend, andererseits so viel spürbare Hoffnung.

Eine junge Frau mit einem weinenden Baby saß teilnahmslos auf ihrem Stuhl. Keine Regung, kein Lächeln, nur Schmerz und Leere in ihrem Gesicht. Ich ging zu ihr und nahm sie vorsichtig bei der Schulter, zeigte auf eine Tür und machte die Handbewegung fürs Essen. Sie folgte mir ohne Emotionen, und ich brachte sie zu den Frauen des DRK, die eine Babystation eingerichtet hatten; dort wurde sie liebevoll mit ihrem Baby aufgenommen und versorgt.

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Eine 5-köpfige Familie machte sich Sorgen um ihre Mutter, die mit schmerzverzerrtem Gesicht auf ihrem Stuhl saß. Ich brachte Essen und Mineralwasser. Ihren Gesten entnahmen wir, dass sie wahnsinnige Kopfschmerzen haben musste. Sylvia und ich überzeugten sie, mit uns zum Arzt zu gehen, wozu sie sich letztendlich auch überreden ließ. Wir brachten sie zum Arzt, allerdings kam die ganze Familie mit. Natürlich war es die Angst getrennt zu werden und sich danach zu verlieren, die bei dieser Familie sofort wieder alles weitere Tun bestimmte.

Bis 18.30 Uhr haben Sylvia und ich mitgeholfen, wo immer es etwas zu helfen gab. Dann benötigten wir erst mal eine längere Pause.

Es gäbe ganz viele kleinere und größere Geschichten zu erzählen: Über die Hilfsbereitschaft, die den ganzen Tag nicht abnahm, über die HelferInnen, die sich wie fleißige Ameisen um die hilfesuchenden Menschen kümmerten, über die Menschen, die Kinderwagen und Babynahrung, Zahnbürsten und Pampers brachten, über Dolmetscher, die zur Stelle waren und über Ärzte, deren Hilfe häufig besonders dringend gebraucht wurde.

Sylvia und ich haben versucht, unsere Gefühle unter Kontrolle zu halten. Es fiel uns manchmal sehr schwer: Wir sahen  Kummer und Leid in den Gesichtern der Menschen; doch auch Dankbarkeit, Erleichterung und Zuversicht haben wir wahrgenommen. Und das hat uns gestärkt und zusätzliche Kraft gegeben. Wir haben erlebt, wenn wir alle zusammen halten und nicht unsere Menschlichkeit vergessen,  wenn wir den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, herzlich begegnen, dann könnten wir Berge versetzen.

Auf jeden Fall können wir dann  Schwierigkeiten überwinden, die sich heute vor uns auftürmen. Und dann wird – um mit Reinhard May zu sagen – was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein!

* Gudrun Feldmann und Sylvia Dettke sind Mitglieder SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Mengede. Sie haben im September – als die ersten Flüchtlingszüge nach Dortmund kamen – mitgeholfen, die Menschen im Dietrich-Keuning-Haus zu empfangen. Für MENGEDE:InTakt! haben sie einen kurzen Bericht über ihre Eindrücke geschrieben.

 

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