Zum Nachtisch Feinstaub – Peter Grohmann

Zum Nachtisch Feinstaub

Eine Kolumne von Peter Grohmann
KONTEXT:Wochenzeitung vom 25.11.2015 Ausgabe 243

Stuttgart, die grüne Großstadt zwischen Hängen und Würgen, ist Europameister beim Feinstaub: 80 Prozent aller Betroffenen haben Keuchhusten. Da beißt auch die Maus im Amtszimmer von Fritz Kuhn keinen Faden ab. Fadenscheinig allerdings und hilflos scheint nahezu alles Bemühen, den Titel an Hamburg oder Köln abzugeben!

Von den selbst gesetzten und fremden Zielen, also vom weißen, unschuldigen Papier zur schmutzigen Realität bis zur Schleimlösung für die Lungen, ist es ein weiter Weg, gepflastert gewissermaßen mit Leichen. Etwa 3,3 Millionen Menschen sterben jährlich weltweit an Luftverschmutzung. Zu den weltweit größten Ursachen der Todesfälle durch miese Luft gehören Schlaganfälle, wie etwa bei Omi Glimbzsch in Zittau das Schlägle, und der hundsgewöhnliche Infarkt.

Knapp 73 Prozent der Toten könnten ein Lied davon singen. 27 Prozent der Todesfälle gehen freilich auf Atemwegserkrankungen oder Lungenkrebs zurück – vom Rauchen wollen wir jetzt mal nicht reden. Die mikroskopisch kleinen, ja fast niedlichen Feinstaubpartikel (ich sag das, weil die nicht ernst genommen werden!) dringen über die Atemluft über die Lunge auch in die Blutgefäße ein. So manches schlägt sich dann auch im Hirn nieder, führt aber denkwürdigerweise zu keiner Verbesserung, sondern erhöht nur noch das Risiko.

Und ganz nebenbei: In Deutschland sterben doppelt so viele Menschen an diesen schöngeredeten “Verkehrsemissionen” wie an Verkehrsunfällen. Aber wir geben weiter Gas. Nahverkehr ist fast so poplig wie echte, alte Bäume, die in der europäischen Feinstaub-Hauptstadt zu Hunderten umgenietet wurden.

So wie sich der TÜV und andere wichtige Behörden von VW & Co. KG verarschen lassen, so verarschen die dann ihrerseits die Anwohner der Feinstaubstraßen: Dort lebt das wehrlose Volk, die unteren Schichten, die Ärmsten der Armen, Leut ohne Lobby. Die oben in ihren PS-starken Karossen mit und ohne Manipulation vorbeidonnern, scheren sich einen Dieseldreck darum.

Sie diskutieren allenfalls im Feuilleton, was die Reduzierung auf 30, 40 oder 60 km/h innerstädtisch bringt. Treffender, klarer kann sich lokale, Landes- und Bundespolitik nicht vorführen. Jetzt fehlt nur noch der Antrag auf Strafvereitelung im Amt. Mit Todesfolge.

Anmerkung: Peter Grohmann ist Kabarettist und Initiator des Stuttgarter Bürgerprojekts “Die AnStifter”.
Die KONTEXT:Wochenzeitung ist eine Internet-Zeitung aus Stuttgart, die seit drei Jahren wöchentlich mittwochs ins Netz gestellt wird. Zusätzlich liegt sie als Printausgabe der Wochenendausgabe der taz bei. Wir danken der Redaktion für die Zustimmung zum Abdruck der Kolumne.
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