„Kette Stramm“ lässt nicht locker
In Mengede gibt es eine Gruppe von Radlern, die seit Mai 1996 vom Frühling bis zum Herbst einmal in der Woche – jeweils donnerstags – Touren im nahen Umkreis von Dortmund unternimmt. Geradelt werden in der Regel zwischen 50 und 70 km. In diesem Jahr war somit das 20-jährige Jubiläum zu feiern. „Kette Stramm!“ nennt sich die Gruppe, und wenn die Mitglieder im Gespräch von den Anfängen erzählen, stellen sie meist übereinstimmend fest, dass vor 20 Jahren alles noch etwas strammer war – auf jeden Fall die Waden.
Zurück zu diesen Anfängen. Einige Zeit vor der offiziellen Gründung des „Hobby-Rennstalles“ hatten sich ehemalige Fußballer von DJK Mengede 20 verabredet regelmäßig Sport zu treiben. Das Arbeitsleben war bei den meisten der damaligen Mitglieder beendet. Zeit war also reichlich vorhanden, denn Fußballspielen ging nicht mehr. Der eine oder andere spielte zwar noch etwas Tennis, aber das war eigentlich keine richtige Sportart für Fußballer. Also musste eine Ersatz-Sportart her.
Das brachte Helmut Thiel, den ehemaligen Trainer von DJK Mengede 20 auf den Gedanken, sich regelmäßig zu einer Radtour zu verabreden. Eigentlich war der Mittwoch für die Mehrheit der Gruppe ein geeigneter Termin, aber wer damals ein guter und akzeptierter Trainer war, der hatte natürlich auch sonst das Sagen und er legte sich fest: „Mittwochs muss ich zum Markt, wir fahren donnerstags!“ Gleichzeitig bestimmte er mit Richard Narmann den Mannschaftsführer und bewies damit ein gutes Händchen für wichtige Personalentscheidungen. Denn dieses Amt hat Richard Narmann bis zum letzten Jahr ausgeübt. Insgesamt also 19 Jahre, bevor er es an einen der „Nachwuchsfahrer“ der Gruppe – den 72-jährigen Hans Biermann – abgegeben hat.
Ziel der wöchentlichen Fahrten war – wie bereits erwähnt – die Umgebung Dortmunds, meist das nahe Münsterland. Die jeweilige Tour war und ist im Schnitt 60 km lang. Die Länge spielte damals wie heute keine entscheidende Rolle – Hauptsache, es lag zumindest eine gediegene Raststätte am Wegesrand.
Zu den Gründern von „Kette Stramm“ gehörten im Jahr 1996: Gerd Backes, Ewald Burdak, Paul Brüsemann, Richard Narmann, Heinrich Potthoff, Hermann Schulz, Rudi Slabe, Helmut Thiel und Horst Wenzel – von denen heute nur noch vier übriggeblieben sind: Ewald Burdak, Richard Narmann und Hermann Schulz und Horst Wenzel. Die beiden Letztgenannten sind seit einiger Zeit lediglich als passive Mitglieder den Radlern treugeblieben, die erst genannten sind die sog. Alterspräsidenten und noch immer aktiv. Aktuell besteht die aktive Gruppe aus 11 Mitgliedern.
Zu den Höhepunkten eines jeden Radler-Jahres des Mengeder Stalls zählen zweifellos die Fahrten, die in jedem Jahr meist in der Zeit von Ende Juni bis Anfang Juli für die Dauer einer Woche durchgeführt worden sind. Die erste Tour ging 1997 von Passau nach Wien. Die diesjährige 20. Auflage nannte sich „Panorama-Tour Bayern“ und ging vom „weißblauen Großstadtflair in München durch ländliche Idyllen, vorbei an traumhaften Seen und durch hochalpine Landschaften; kurzum: durch die schönste Region Oberbayerns“, so die blumige Beschreibung der Route im Prospekt.
Konkret war das die folgende Strecke: München – Murnau am Staffelsee – Garmisch-Patenkirchen – Mittenwald/Wallgau – Bad Tölz – Tegernsee – München. Die Streckenlänge betrug insgesamt ca. 300 Kilometer, somit waren im Schnitt 50 km pro Tag zu bewältigen.
Diese „Panorama-Tour-Bayern“ gehörte aus Sicht der diesjährigen Teilnehmer zu einer der schönsten Rundfahrten in der zwanzigjährigen Geschichte: Landschaftlich hervorragend, eine anspruchsvolle Streckenführung, und das Wetter spielte ebenfalls mit. Dabei ist es nicht einfach, eine Rangfolge der bisher gefahrenen Strecken aufzustellen. Befragt, welche der früheren Fahrten noch in guter Erinnerung sind, gibt es eindeutige Präferenzen für die Fahrt im Jahr 1999 rund um die masurischen Seen. Einmal wegen der reizvollen Landschaft, aber auch wegen der ungewohnten Begleitumstände. Soll heißen: Das Kartenmaterial erforderte viel Fantasie und die Verständigungsmöglichkeiten waren sehr eingeschränkt. Das machte sich vor allem bemerkbar, wenn sich die Gruppe verfahren hatte. Aber alles wurde wettgemacht durch die ausgesprochene Gastfreundschaft der polnischen Gastgeber. Für Ulrich Kraus, einer der zu den „Altgedienten“ gehört, ist diese Tour nachhaltig in Erinnerung geblieben.
Andere nennen auf eine entsprechende Frage die Tour über den Jakobsweg, die im Jahr 2004 von Owedo nach Campostella führte. Die Vielzahl unterschiedlicher Nationalitäten, die Fröhlichkeit und Offenheit der TeilnehmerInnen – egal ob 15 oder 95 Jahre alt und meist als Wanderer unterwegs – war beeindruckend und bleibt für die Mengeder in starker Erinnerung.
Auch insgesamt fällt das Fazit über die bisherigen 20 Touren sehr positiv aus. Egal, ob die Vier-Ländertour um den Bodensee im Jahr 2003, die Fahrt durchs Altmühltal im Jahr 2006, die Städtetour in Thüringen im Jahr 2010 oder die Fahrt über den Südschwarzwald-Radweg im Jahr 2013, um nur einige landschaftlich besonders reizvolle Ziele zu nennen. Die Mengeder waren immer an den schönsten Ecken unterwegs, die man mit dem Fahrrad bewältigen kann.
In den 20 Jahren, in denen „Kette Stramm“ nunmehr aktiv ist, hat sich natürlich einiges verändert. So gab es in den Anfängen noch kein Bewusstsein für das Tragen von Fahrradhelmen. Eine Mütze zum Schutz gegen Sonnenstrahlen war das Äußerste, was als Kopfschutz getragen wurde. Das ist heute anders. Und auch die Fahrräder wurden weiterentwickelt und haben insbesondere dem Umstand Rechnung getragen, dass die aktiven Radler – im Allgemeinen und natürlich auch im Falle von „Kette Stramm“ älter werden. Das wird dann durch die Benutzung eines E-Bikes ausgeglichen. Bei der letzten Rundfahrt der Mengeder Gruppe waren lediglich nur noch vier Fahrer mit einem normalen Fahrrad unterwegs – drei Nachwuchsfahrer und auch einer der beiden Alterspräsidenten.
Allerdings: Es ging bei all diesen Touren nicht darum, möglichst viele Kilometer „gefressen“ zu haben. Entscheidend waren immer die Verschnaufpausen während der Fahrt und vor allem das gemütliche Beisammensein nach der täglichen Anstrengung. Wenn die Radler heute darüber sprechen, war dieser Teil für die meisten eigentlich ebenso reizvoll wie das Radeln tagsüber. Es lag bestimmt auch daran, dass in den ersten Jahren mit Hermann Brüsemann, Hermann Schulz, Rudi Slabe und Ulrich Kraus vier aktive Sänger zur Gruppe gehörten. Das allein garantierte abends in der Regel ein „volles Haus“, denn es dauerte nicht lange, da hatten die „Stimmungskanonen“ das Lokal für sich eingenommen. Manchmal fragten die übrigen Gäste sogar, ob die Mengeder am nächsten Abend auch für Unterhaltung sorgen würden.
Dabei wurde mehr als einmal am Tag der „KETTE STRAMM SONG“ geträllert. Gelegentlich heißt es bei den Texten derartiger Lieder: „Reim mich oder ich fress’ Dich“! Das trifft auch auf diesen Song zu. Deswegen kann auf eine vollständige Wiedergabe des Textes an dieser Stelle verzichtet werden. Aber eine schöne Anekdote sei dem Chronisten zum Schluss erlaubt. An einer Stelle heißt es:
Jedes Jahr einmal auf große Fahrt,
mitmachen ist angesagt.
All diese Reisen sind sehr nett,
schlafen immer im anderen Bett.
Dieser Text klingt schlimmer als es in Wirklichkeit gewesen ist – das wird von allen Teilnehmern versichert. Vermutlich hatte er jedoch zur Folge, dass ein weiteres Gründungsmitglied von „Kette Stramm“ zwar an den wöchentlichen Ausflügen teilnehmen durfte, aber die Jahrestouren wurden ihm von seiner „besseren Hälfte“ untersagt. Völlig zu Unrecht, wie ebenfalls einmütig und glaubhaft erklärt wird.