Auf eine Tasse Kaffee…

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….heute mit:                           Fabian Dieterle

Viel Musik in altem Gemäuer

Im „Wiedenhof 11“ in Mengede geht es seit dem Sommer besonders lebhaft zu, denn seitdem wohnt dort Fabian Dieterle mit seiner sechsköpfigen Familie. Zu Schuljahresbeginn zogen sie von Olfen nach Mengede. Der „Wiedenhof 11“ ist kein normales Haus, er gehört zum denkmalgeschützten Ensemble rund um die evgl. St. Remigius Kirche in Mengede – auch als Widum* bekannt.

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Von außen betrachtet, unterscheidet sich das Gebäude kaum von den übrigen Denkmälern des Widums. Drinnen erkennt der Besucher jedoch, dass die neuen Eigentümer – um es mal vorsichtig auszudrücken – noch viel zu tun haben, denn es handelt sich noch um eine fast komplette Baustelle. Wer sich hier mit vier Kindern einleben will, benötigt gute Nerven, die scheinen die Dieterles zu haben. Auch deshalb hat Fabian Dieterle Zeit gefunden, sich mit MENGEDE:InTakt auf eine Tasse Kaffee zu treffen.

Fabian Dieterle ist erst 40 Jahre alt, hat aber bereits beachtliche Stationen in seinem Leben durchlaufen.
Geboren und zur Schule gegangen ist er in Arnsberg; nach erfolgreichem Abitur war 1998 sein Ziel das holländische Rotterdam, um dort ein Doppelstudium zu beginnen: Architektur und Musik/Hauptfach Violine. Dieses Vorhaben stellte sich jedoch als zu komplex heraus, deshalb wechselte er an die TU Berlin und erwarb 2001 dort sein Vordiplom als Architekt, um danach an die ETH Zürich zu wechseln. Nach dem Wechsel an die TU Berlin begleitete ihn die Musik und sein Violinespiel nur noch in der Freizeit.
Das Studium an der ETH schloss er 2005 ab und bekam schnell eine Anstellung beim renommierten Architekturbüro Herzog & de Meuron, das sich durch den Bau der Elbphilharmonie, des Tate Modern oder der Bayern Arena einen internationalen Ruf erworben hat. Ab August 2007 arbeitete er als klassischer Wettbewerbsarchitekt bei Prof. Carsten Roth in Hamburg.
Seit 2011 ist er selbständig als Architekt tätig.

Verheiratet ist Fabian Dieterle seit 2008 mit der Katalanin Susanna Biosca. Sie hat in London und Karlsruhe Musik im Hauptfach Violine studiert und leitet derzeit in Olfen eine private Musikakademie. Beide haben sich beim gemeinsamen Musizieren im Hochschulorchester Hamburg kennengelernt. Sie haben vier Kinder – drei Mädchen und einen Jungen. Die beiden jüngeren Mädchen gehen zur Schopenhauer Grundschule, die ältere Tochter und der Bruder besuchen das Heinrich Heine-Gymnasium.
Die gesamte Familie ist leidenschaftlich musikalisch aktiv: Das Ehepaar spielt Violine bzw. Viola (Bratsche), die Kinder spielen Violine (Paul), Cello (Julia), Kontrabass (Anna), Cello (Berta) und versuchen ihr Talent auch noch auf verschiedenen anderen Instrumenten.

In Anbetracht der Klangfülle und Vielfalt der musikalischen Begabungen und der direkten Nachbarschaft zur St. Remigius Kirche bedarf es keiner allzu großen Fantasie für die Vorstellung, die gesamte Familie könnte demnächst dort ein vorweihnachtliches Familienkonzert präsentieren.

Für Fabian Dieterle bleibt allerdings für das Hobby Musik meist zu wenig Zeit. Er pendelt von Mengede ins Sauerland, wo er mit einem Partner ein Architektur-Büro betreibt. Oder er ist zu seinen zahlreichen Projekten unterwegs. Zum augenblicklichen Schwerpunkt seiner Arbeit, der sich dem Thema „Bauen für Menschen mit Behinderungen“ widmet, sagt er: „Ich versuche bei meiner Entwurfsarbeit zuerst die Bedürfnisse der Nutzer zu ’erspüren’ und ihnen mit der Gestaltung ihrer Räume eine gewisse Freiheit zu schenken, die Gestaltung ihrer Lebensläufe in die eigene Hand zu nehmen.
Für die Schwächsten in der Gesellschaft, die mit wesentlichen Einschränkungen ihr Leben meistern müssen, ist ein lebenswertes Wohnumfeld von umso größerer Bedeutung. Hier packt mich oft der Idealismus, den ich bei den Arbeiten meiner Mutter oft beobachtet habe!“

Die Mutter, Ute Dieterle – dieser Hinweis ist an dieser Stelle erforderlich – war als Lehrerin für Religion und Deutsch beruflich tätig und hat darüber hinaus auch sehr aktiv und unermüdlich in der Gemeinde an der Umsetzung der Idee einer lebendigen Kirche mitgearbeitet.

  

Diese Veranlagung zum Idealisten ist natürlich auch immer eine Herausforderung an sich selbst, den richtigen Rhythmus zwischen Arbeit und und der notwendigen Zeit für die Familie zu finden. Auf die Frage, ob das „Elend dieser Welt“ besser zu ertragen ist, wenn es ihm gelingt, diesen Rhythmus zu finden, lautet die diplomatische Antwort: „Das Elend der Welt liegt im Auge des Betrachters, die Schönheit der Dinge zu finden. Die Augen offen zu halten, ist immer aufs Neue eine Herausforderung, die mit zunehmendem Alter an Bedeutung gewinnt.“

Bei einer Tasse Kaffee liegt es nahe, den Architekten Dieterle etwas allgemeiner nach der Funktion von Architektur zu befragen. Konkreter Bezug dieser Frage ist die neue Altstadt in Frankfurt, bei der sich Architekten, Historiker und Bürger über das Gesicht ihrer Stadt streiten. **
Dazu Originalton Fabian Dieterle:
„Die Anziehung der Architektur liegt für mich auch wesentlich in der Ambivalenz zwischen alltäglichem Gebrauchsgegenstand und ihrem Anspruch als universelles Kulturgut, dass sich im künstlerischen Ausdruck manifestiert.
Es ist immer noch die Handwerkskunst auf der einen, und die bildnerische Ausdruckskraft auf der anderen Seite, die als Vermittler zwischen diesen beiden Polen auftritt. Als „Erzeuger“  dieser neuen Realitäten bewegt sich der Architekt in diesem Spannungsfeld, dessen Aufgabe es sein sollte, die Einflüsse, die ihm in der Welt begegnen, mit den örtlichen Bautraditionen in Einklang zu bringen und auf diesem Wege „gute“ Architektur zu erzeugen.
Aber an dem Beispiel des Römer Areals zeigt sich auch, dass eine eigenständige Autorenarbeit des Architekten oft nicht mehr zugelassen wird und die Bauherrenschaft die Architektur als einen weiteren Grund zur besseren Vermarktung einer Immobilie hinnimmt.
Peter Zumthor (Schweizer Architekt, aus „Architektur denken“) sagt hierzu:
‚Schöpft ein Entwurf allein aus dem Bestand und der Tradition, wiederholt er das, was sein Ort ihm vorgibt, fehlt mir die Auseinandersetzung mit der Welt, die Ausstrahlung des Zeitgenössischen. Erzählt ein Stück Architektur nur Weltläufiges und Visionäres, ohne ihren konkreten Ort zum Mitschwingen zu bringen, vermisse ich die sinnliche Verankerung des Bauwerks an seinem Ort, das spezifische Gewicht des Lokalen.‘“

Auf die Frage, ob es besondere Gründe gegeben habe, die ausschlaggebend für die Standortentscheidung Mengede waren, antwortet der Neu-Mengeder:
„An erster Stelle stand für unsere Familie das unmittelbare friedvolle Wohnumfeld am Wiedenhof. Wir haben uns im Weiteren dann eher für einen Schmelztiegel und ein buntes Leben interessiert, anstatt wieder in (falscher) (Vorstadt)-Idylle in einem Umfeld festgefügter Rollenbilder unseren weiteren Weg zu nehmen.“

Fabian Dieterle und seine Familie haben im übrigen die Vorzüge ihrer neuen Umgebung zu schätzen gelernt. Dazu gehört insbesondere „die in Mengede erhaltene übersichtliche,  diversifizierte Einzelhandelsstruktur und die gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Besonders aufgefallen ist „das in Vereinen und bei reichhaltigen öffentlichen Anlässen sichtbare Engagement vieler Menschen, denen Ihr Stadtumfeld am Herzen liegt.“ „Die Menschen tragen ihr Herz auf der Zunge“, das empfindet Fabian Dieterle als sehr angenehm und deswegen erwähnenswert.

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Zusätzliche Hinweise
*Widum oder Witthum ist ein Begriff aus der mittelalterlichen Rechtssprache. Das Wort „widum“ und „wittum“ leitet sich von derselben Wurzel her wie „widmen“; Widum und Wittum bezeichnet also ein „gewidmetes Gut“, in Tirol und Südtirol heute noch gebraucht als Bezeichnung für einen Pfarrhof. Auch früher bezeichnete man mit Widum das Kirchengut, das vom Pfarrer bewirtschaftet wurde, um seinen Lebensunterhalt sicher stellen zu können.

Bei dem Wohnhaus Wiedenhof 11 handelt es sich „ um ein 2-geschossiges Fachwerkhaus im Widum von Mengede. Mit Satteldach und hohem Sockel steht es dreiseitig mit Traufe frei zur Kirche. Dieses Gebäude stammt aus dem 19. Jahrhundert und stellt ein Denkmal im Sinne des § 2 Abs. 2 Denkmalschutzgesetz (DSchG) dar; es ist bedeutend für de Geschichte der Menschen in Dortmund-Mengede.
Die evangelische Kirche und ihre kleine Ortsansiedlung am Emscherübergang im Schnittpunkt zweier alter Handelswege – Mengede-Recklinghausen-und Bochum-Mende-Lünen, bildete ein befestigtes , allseits vom Wasser umgebenes Kirchdorf, das unter dem Schutz der jenseits der Emscher gelegenen Burg stand. Für die im Kirschrund errichteten, zum Widum gehörigen Fachwerkbauten der Handwerker und Händler sind erhalten geblieben und bilden einen Teil der historischen Altstadt Mengedes.
Für die Erhaltung und Nutzung liegen wissenschaftliche und städtebauliche Gründe vor.Das Gebäude bildet einen wesentlichen Bestandteil der historischen Kirchenumbauung „Widum“. (Auszug aus der Denkmalakte)

**Info für die Leser zum Hintergrund der Frage:
In Frankfurt am Main wurde das 1974 erbaute Rathaus abgerissen und so das 7000 qm große Dom-Römer-Areal geschaffen. Hier sind neben 20 Neubauten („an der Geschichte orientiert, aber nicht altbacken“) 15 Rekonstruktionen ausreichend dokumentierter Gebäude entstanden, die in kürzlicheingeweiht wurden.
Laut Eigenwerbung der städt. Entwicklungsgesellschaft „bilden (die Häuser) alle bedeutenden Epochen und Baustile ab, die auch in der historischen Altstadt zu finden waren, und bringen so das Altstadt-Flair in die historischen Gassen zurück“.
Allerdings war für Sozialwohnungen z. B. keine Platz.

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MENGEDE:InTakt! hat Fabian Dieterle gebeten, den aktualisierten Fragebogen vom Marcel Proust* auszufüllen. Hier ist das Ergebnis:

Ihr Motto/Leitspruch?
Gelassen bleiben unter dem Hut der vielen Dinge

Ihr Hauptcharakterzug?
Strukturiert und verträumt

Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?
Beständigkeit

Was verabscheuen Sie am meisten?
Vorzugeben, es gäbe keine menschlichen Schwächen und Mitgefühl

Ihr Interesse an Politik?
Wie geht es weiter mit Europa und der Selbstbestimmung seiner Bürger unter dem Druck der Märkte und äußeren Zwänge.

Glauben Sie Gott sei eine Erfindung des Menschen?
Nein, es ist eine Heiligkeit, Stille und Spiritualität in der Welt, die ohne Gott nicht erklärbar ist.

Welche Reform /Erfindung bewundern Sie am meisten?
Martin Luther – 95 Thesen / Steve Jobs – Apple

Mit wem möchten Sie an einer Hotelbar ein Glas Wein trinken und dabei worüber reden?
Mit Bill Murray an der Bar in Tokio sitzen und über die schöne Einsamkeit sprechen

3 Dinge, die Sie mit auf eine einsame Insel nehmen würden?
Vittorio Magnano Lampugnani: die Stadt von der Neuzeit bis zum 19.Jahrhundert / Hängematte / Armbrust

Sommer oder Winter?
Goldener Herbstanfang

Ihre Hobbies?
Violine + Fahrrad + Film

Welchen Film haben Sie zuletzt gesehen?
Picknick am Valentinstag / Peter Weir (unglaublich dicht gesponnenes, doppelbödiges Erzählkino)

Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Wallander / taz am Wochenende

Ihre Lieblingsmusik?
Mahler Symphonie Nr.4 / Brahms Violinkonzert / Stars: In Our Bedroom After the War / Lala Puna Micronomic – EP

Ihre Lieblingsblume?Ihr Lieblingstier?
Margerite / Schildkröte

Essen & Trinken hält Leib und Seele zusammen – auch bei Ihnen? Wenn ja, was ist es?
Pad Thai Gai mit Zitronenmelisse und gerösteten Erdnüssen

 

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