Corona-Krise und EU-Krise eröffnen neue Möglichkeiten für ein BGE
„Vielleicht ist jetzt die richtige Zeit, über ein universales Grundeinkommen nachzudenken, das die wichtigen und unersetzlichen Aufgaben anerkennt und würdigt, die sie erfüllen; ein Einkommen, das den ebenso menschlichen wie christlichen Leitsatz dauerhaft Wirklichkeit werden lassen kann: Kein Arbeiter ohne Rechte.“
(Papst Franziskus in seiner diesjährigen Osterbotschaft)
Nach Wikipedia ist das BGE ein sozialpolitisches Finanztransferkonzept, nach dem jede/r BürgerIn unabhängig von der wirtschaftlichen Lage eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche vom Staat ausgezahlte finanzielle Zuwendung erhält, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen.
Diese Idee, jedes Mitglied der Gesellschaft an den Gesamteinnahmen dieser Gesellschaft ohne Bedürftigkeit zu beteiligen, wird weltweit diskutiert. Zu den in Deutschland bekanntesten Ideen zum BGE gehört das Modell der vom Unternehmer Götz Werner (Gründer und Aufsichtsratsmitglied des Unternehmens dm-drogerie) gegründeten Initiative “Unternimm die Zukunft.”
Spürbaren Auftrieb hat die Diskussion über ein BGE durch die augenblickliche Corona-Krise erhalten. Durch die Krise haben viele ArbeitnehmerInnen Teile des Einkommens eingebüßt oder ihren Arbeitsplatz verloren. Es fragen sich viele Menschen, ob ihre bisherige soziale Sicherung ausreicht.
Dies alles dürfte der Grund sein, warum in der letzten Woche knapp 175.000 Menschen eine Bundestagspetition für „ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürgerinnen und Bürger“ unterzeichnet haben. Die Eingabe der Grundeinkommensaktivistin Susanne Wiest gehört somit zu den erfolgreichsten Petitionen seit langem.
Dem Bundestag liegen noch zwei weitere ähnliche Petitionen vor. Zusammen werden sie demnächst im Petitionsausschuss des Parlaments beraten, später dem Parlament zugeleitet und hoffentlich dort auch diskutiert.
Zeitgleich haben im Lauf der letzten Tage über 460.000 Personen auf der Kampagnenplattform change.org eine Petition der Modedesignerin Tonia Merz unterzeichnet. Sie hält die bisherigen Staatshilfen für Selbständige und kleine Firmen für nicht ausreichend und plädiert für „die Einführung eines BGE von 800 – 1200 Euro pro Person für sechs Monate, das würde den sozialen Absturz verhindern.“ Eine vergleichbare Petition auf der Plattform openpetition.de hat 290.000 UnterstützerInnen gesammelt.
In Hamburg hat die „Expedition Grundeinkommen“ mit mehr als 10.000 Unterschriften die Hürde zur Anerkennung als Volksinitiative geschafft. Diese liegt nunmehr beim Senat der Hansestadt; der muss sich mit dem Antrag beschäftigen, einen staatlich organisierten, wissenschaftlich begleiteten Modellversuch zum Grundeinkommen durchzuführen. In die gleiche Richtung gehen Aktivitäten in Berlin, Brandenburg, Bremen und Schleswig- Holstein mit der Absicht, über Volksentscheide zum BGE Modellversuche zu erzwingen.
587 Menschen haben in Deutschland bereits ein BGE ausgeschüttet bekommen, zwar nicht vom Staat, sondern vom Verein „Mein Grundeinkommen“. (mein.grundeinkommen.de) „Mein Grundeinkommen“ sammelt per Crowdfunding Geld. Immer wenn 12.000 Euro zusammengekommen sind, wird das Geld als BGE verlost: Ein Jahr lang monatlich 1000 Euro – ohne Bedingungen. Derzeit wird für das 588. Einkommen gesammelt, die Auslosung ist für den 20.5.20 geplant.
Trotz all dieser außerparlamentarischen Aktivitäten, bei den Bundestagsparteien ist hinsichtlich des BGE bisher wenig Bewegung oder Fantasie zu erkennen. CDU und SPD und Grüne unterscheiden sich kaum, ähneln sich vor allem in der Begründung, warum das alles nicht oder nur sehr schwer geht. Bei den Linken gibt es zwar eine Reihe von Befürwortern, insgesamt ist das Vorhaben dort jedoch auch höchst umstritten. Allerdings planen die Linken zumindest, im nächsten Jahr per Mitgliederentscheid über das BGE abstimmen zu lassen.
Auf europäischer Ebene gibt es von den Parteien bisher nur zaghafte Versuche. Bereits im Dezember hatten die spanischen Sozialdemokraten der PSOE und die links ausgerichtete Partei PODEMOS in ihrem Koalitionsabkommen eine Art Grundeinkommen vereinbart. Angesichts der Corona-Krise fordert PODEMOS, das Vorhaben so schnell wie möglich einzuführen. Anfang April wurde mitgeteilt, die Regierung werde zunächst eine temporäre Grundsicherung für Menschen ohne Einkommen für einige Monate beschließen.
Jedenfalls hat die Corona-Krise die Debatte um ein BGE angefacht – vor allem in den europäischen Ländern, in denen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Kurzarbeitsgeld keine Selbstverständlichkeiten sind. Zu hoffen wäre, dass der Gedanke der europäischen Solidarität im Zusammenhang mit der Diskussion über ein BGE wieder an Fahrt aufnehmen könnte. Es wäre für Deutschland schon viel gewonnen, wenn die Politik sich – entsprechend den Intentionen der Hamburger Initiative – aufraffen könnte, einen oder mehrere staatlich organisierte, wissenschaftlich begleitete Modellversuch zum BGE durchzuführen.
Wenn wir uns – wie bisher – nur mit theoretischen Spielchen zufriedengeben, dann werden wir keinen Schritt vorankommen. Die unterschiedlichen Denkmodelle müssen in der Praxis ausprobiert werden und sich der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung stellen.
Die augenblickliche Krise zeigt, dass grundsätzlich eine andere Politik erforderlich ist, um gut zu wirtschaften und gut leben zu können und dabei die Bedürfnisse aller Menschen ernst zu nehmen. Die bevorstehenden Wahlen bieten hinreichend Gelegenheit diesen Vorstellungen von einem BGE Nachdruck zu verschaffen!