Werner Hansch und Hermann Beckfeld berichten vom Weg durch die Hölle der Spielsucht

“Die Lüge ist die rechte Schwester der Sucht”

Werner Hansch. Foto (c) Diethelm Textoris

Bewegender Vortrag in der Buchhandlung am Amtshaus

Wie haben wir sie vermisst, die Live-Veranstaltungen, Lesungen und Vorträge mit oder ohne Buchpräsentationen in unserer Buchhandlung am Amtshaus. Dann am vergangenen Mittwoch, 6.4., nach zwei Jahre langer Pause wieder eine Öffnung am Abend. Stuhlreihen, ein Rednertisch mit zwei Stühlen für die Referenten, und knapp 30 erwartungsvolle Zuhörerinnen und Zuhörer. Und was diese dann erlebten, dürfte wohl die meisten Erwartungen übertroffen haben. Denn sie erlebten eine hochemotionale, bewegende und aufrüttelnde Veranstaltung, weit weg von Lesungen, die nur das Ziel haben, ein eben erschienenes Buch bekannt zu machen und an den Mann bzw. die Frau zu bringen. 

Gekommen war Werner Hansch, inzwischen 83 Jahre, ehemaliger Trabrennbahnsprecher in Recklinghausen und Stadionkommentator auf Schalke, und für viele Jahre gefragter Sportexperte mit unverkennbarer Stimme in Rundfunk und Fernsehen. Begleitet wurde er von Hermann Beckfeld, dem langjährigen Chefredakteur der Ruhrnachrichten und Verfasser der heute noch jeden Samstag erscheinenden Briefe an bekannte und auch wenige bekannte, lebende und tote Persönlichkeiten.

Hermann Beckfeld (li) und Werner Hansch. Foto (c) Diethelm Textoris.

Grundlage ihres Gesprächs war das Buch „Einmal Hölle und zurück“, das Beckfeld geschrieben hat, das den Absturz von Werner Hansch in die Spielsucht beschreibt, den beschwerlichen Weg, von ihr loszukommen und den durch sie verursachten Schuldenberg abzutragen. Lebendig wurde die Veranstaltung dadurch, dass keine einzige Zeile vorgelesen wurde, sondern dass das Ganze in Dialogform stattfand. Wobei Beckfeld die Rolle des Stichwortgebers übernahm, die des Zeitraffers, wenn Hansch zu ausführlich wurde und die des Kurskorrektors, wenn dieser inhaltlich abzudriften drohte. All das, aber vor aber allem die Thematik und der dramatische Realitätsgehalt sorgten dafür, dass das Publikum spannende und berührende 90 Minuten erlebte.

Vom Arbeitersohn zum Stadionsprecher gefragten Sportexperten
Zur Begrüßung stellte Beckfeld seine Verbundenheit mit Mengede heraus. Er hat am Anfang seiner journalistischen Laufbahn noch die Lokalredaktion am Mengeder Markt kennengelernt, kannte unsere Reporterlegende Charly Bohnmann, den die Ruhr-Nachrichten mit der Dortmunder-Nord-Westzeitung übernommen hatte. Hansch startete mit einem Rückblick auf sein Leben vor der Spielsucht, erzählte von seinem Vater, der als einfacher Mann von den Nazi verfolgt wurde, und, nur weil er Kommunist war, ins KZ Buchenwald zur „Umerziehung“ eingewiesen wurde und Schreckliches durchmachen musste. Der früh starb, weil er dem Bergbau seine Gesundheit geopfert hatte. „Er war eigentlich schon tot, als er noch lebte.“ Auch die Mutter starb früh, und Werner musste sich allein durchs Leben schlagen. Er verdiente Geld als Kommentator auf der Trabrennbahn, bis er als Ersatzmann seine erste Stadionansage auf der alten Glückauf-Kampfbahn in Gelsenkirchen machen durfte bzw. musste, ohne die geringste Ahnung vom Fußball zu haben. Wahrscheinlich war es das Timbre seiner Stimme, das überzeugte und für eine sofortige langfristige Verpflichtung sorgte. Überzeugt hat ihn ein Honorar, gegen das er sich nicht wehren konnte. Beckfeld übernahm dann im Zeitraffertempo die Erwähnung der weiteren Stationen aufwärts bis zum prominenten und gefragten Sportexperten. 

Eine geöffnete Tür war der Schritt in die Sucht

Die beiden Referenten und das Team der Buchhandlung am Amtshaus als Veranstalter. Foto (c) Diethelm Textoris

Der erste Stolperstein und Wegbereiter in Richtung Spielsucht war dann die Erreichung Ruhestands, es entstand eine abrupte Leere auf, deren Füllen er versäumt hatte. Die Arbeit war bisher der Sinn seines Lebens gewesen, auf einmal war gar nichts mehr da. Die Falle tat sich dann bei einem Zufallsbesuch eine Wettstube in Recklinghausen auf: „Die Tür stand einen Spaltbreit auf, es drang Lärm und Zigarettenqualm nach außen.“ Hansch trat ein, wurde als Prominenter erkannt, jemand füllte für ihn einen Wettschein aus, und er gewann.“ Was er erst später realisierte: Er war in die Hölle eingetreten und der Spielteufel hatte ihn erfasst. Von da an ging’s ungebremst bergab. Die Wettscheine wurden zur Droge, die Beträge immer höher und das finanzielle Desaster immer größer. Zunächst gingen die flüssigen Mittel aus, angesparte Gelder wurden aufgelöst, der Dispo in Anspruch genommen und überzogen, dann wurden Freunde und Bekannte, die er reichlich hatte, angepumpt, Geschichten erfunden, um an weitere Mittel zu kommen. „Die Lüge ist die rechte Schwester der Sucht“, erklärte er. So wurde ein Loch mit einem neuen gestopft, Freundschaften gingen in die Brüche, die Lebensgefährtin trennte sich von ihm, als sie sein Doppelleben erkannte. 

Ohne Hilfe kommt man da nicht raus
„Immer noch fehlte die Einsicht, dass ich krank war.“ Die entwickelte sich dann, als der CDU Politiker Wolfgang Bosbach eine Strafanzeige wegen nicht zurückgezahlter 5.000 € machte. Für Hansch war die drohende Verurteilung ein Schock, doch die plötzliche Öffentlichkeit brachte auch die Erkenntnis, dass es so nicht weiterging. Sein Rechtsanwalt Alfons Becker zeigte ihm den Weg zu Therapien und Therapiegruppen und damit weg von der Hölle. „Allein kommt man da nicht raus“, sagt Werner Hansch heute. Ein Glücksfall war sein Einzug ins Big Brother Haus, das er als Projektgewinner verließ und ihm neben dem Startgeld ein Preisgeld von 100.000 € bescherte. Das Geld setzte er, genauso wie weitere Einnahmen, zur Schuldentilgung ein. Schuldenfrei ist er immer noch nicht, aber der Schuldenberg ist wesentlich kleiner geworden. „Vielleicht kann ich eines Tages noch den blauen Himmel sehen“, so Hansch.

Um anderen, vor allem auch jungen Menschen den Weg in die Hölle zu ersparen, engagiert er sich in der Suchtprävention. „Denn als Süchtiger verliert man alles, verliert Scham und Würde und auch den Bezug zu sich selbst. Man verkümmert seelisch wird zur fleischlosen Hülle“. Bei seinem Einsatz wird er u.a. unterstützt von Ballermann Sänger Ikke Hüftgold, der eigentlich Matthias Distel heißt, den er im Big-Brother-Haus kennergelernt hat und der sein Freund wurde. Und bei jeder Gelegenheit warnt er vor den subtilen Methoden der Wett- und Spielwelt, prangert deren Nähe zu den Sportvereinen an und fördert strengere Gesetze gegen diese mafiaähnlichen Strukturen. Publikumsfragen und Berichte von eigenen Erfahrungen zeigten, wie sehr Hansch, der s

eine Tränen häufig nicht zurückhalten konnte, das Publikum an diesem Abend angesprochen und bewegt hatte. Ein Lob auch für Herrmann Beckfeld, der geschickt die Regiefäden in der Hand hielt, ohne sich selbst in den Vordergrund zu schieben. Mit seiner trotz eigener Schädigung weiter bestehenden Freundschaft zu Hansch zeigte er, dass man einen Freund nicht einfach fallen lassen sollte, wenn er ins Abseits gerät sondern ihm vielmehr beistehen sollte.  

 

 

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