Geh’n wir Kinder erschießen
Von Peter Grohmann
Die Demokratie lässt sich bis ins antike Griechenland verfolgen – das ist heute weitgehend unbekannt, weil mehr in Bananen als in Bildung investiert wird. So gesehen, könnten wir auch Kanzler Merz verstehen. Er steht quasi auf der anderen Seite und glaubt nicht an eine Verschwörung der Verfassungsfeinde, was die Wahl der Verfassungsrichter angeht. Hier irrt Friedrich. Denn diese und tausend anderen Verschwörungen begannen lange vor seiner Kanzlerkandidatur und politischen Menschwerdung.
Doch bedenkt: Nicht nur in seinem, auch in unserem Umfeld sind seit langem und sehr erfolgreich die Verschwörungstheoretiker am Werk – als Praktiker im Alltag, als leicht übersehene und gut getarnte Feinde von Republik und Menschenrechten. Frauke Brosius-Gersdorf ist ihr kleinstes Opfer.
Es stimmt, dass die meisten Menschen lieber durch Lob verdorben als durch Kritik gerettet werden – das wußte schon meine Omi Glimbzsch. Sie ist gewissermaßen eine Indigene aus Zittau würde nie nach Amerika auswandern wollen, anders als ihre Vorfahren. Sie weiß auch: Wer die USA kritisiert, kriegt 50 % Zoll aufs Hirn, und wer’s nicht glaubt, nochmal 50.
Aber ganz ehrlich: Wir allen wollen das Paradies! Die einen mit, die anderen ohne den gerechten Gott. Das war im Vaterland der Werktätigen nicht anders als im Mutterland der Demokratie. Während die einen das Versagen der elektrischen Zahnbürste bejammern, die Kellnerin anmachen, weil es im Café keine Haferdrink und keinen Bio-Kokusblütenzucker gibt oder den versagenden Naffi am liebsten zertrampen würden, nagen die anderen – unbesehen? – am Hungertuch. Beide Bilder gehen um die Welt – Brecht ist widerlegt, wenn er behauptet, dass die einen im Dunkeln und die anderen im Lichte sind und man nur die im Lichte sähe: Wir sehen alles. Wir schlucken alles.
Dieser Tage ging in Hamburg der SUZUKI World Triathlon – presented by Hamburg Wasser – zu Ende. Die Siegerinnen begossen ihren Sieg mit Bier und Wasser. ARD und ZDF berichteten. Die nächsten Bilder kamen aus Gaza, wo an einer der Wasserausgabestellen Kinder erschossen wurden. Ein technischer Fehler, räumt die israelische Armee ein. Verfolgen uns etwa die Fernsehbilder äthiopischer Frauen in unsere Nächte, die ihr verhungerndes Baby an die Brust halten?
Die im Dunkeln sehen wir schon lange.
Doch wir sind Meister im Wegschauen geblieben.