Bild des Tages

Erinnerungen an die Westfalenhalle als Karnevalshochburg

Von Diethelm Textoris

Jahrzehntelang wurde ein altes Plakat aus den 60er Jahren an der Litfaßsäule an der Ecke Waltroper Str. /Schaphusstraße immer wieder überklebt. In diesen Tagen fiel die angesammelte Makulatur herunter und der alte Aushang wurde teilweise wieder sichtbar.

Darauf stehen Namen, mit denen die jüngeren Generationen sicherlich nichts anfangen können, die bei den Älteren jedoch nostalgische Erinnerungen wachrufen können. An eine Zeit, als die Westfalenhalle einmal im Jahr als „Lachende Westfalenhalle“ Karnevalshochburg war. Als jährlich mehr als Zehntausend in die Dortmunder „Arena der Sensationen“  strömten, um ausgelassen zu feiern. Das war die Zeit, als man noch so viele Flaschen, wie man tragen konnte, mit in die Halle nehmen durfte, wo man auf den Sitzbänken nicht nur hemmungslos trinken sondern auch rauchen durfte, soviel, dass am Ende der Veranstaltungen die Bühnengeschehen nur durch einen Nebelschleier zu verfolgen war. Wo man schon betrunken wurde, wenn man auf die schunkelnden Reihen im Rund der Arena blickte.

Doch es lohnt sich auch, einen Blick auf die Persönlichkeiten zu werfen, die hinter den Namen auf dem historischen Plakat stehen. Als erstes ist da der Name Karl Berbuer zu lesen. Berbuer war gelernter Bäcker und deshalb wurde er von den Kölnern liebevoll „Das jecke Hefeteilchen“ genannt. Seinen Durchbruch hatte er bereits 1936 mit dem Lied „Heidewitzka, Herr Kapitän“, ein Evergreen, der ihm nach eigenen Angaben lebenslang ein fürstliches Einkommen an Tantiemen bescherte. Sein absoluter Erfolgshit war aber der „Trizonesien-Song“, der heute immer noch erklingt, obwohl die Leute, die ihn singen, kaum noch den politischen Hintergrund kennen. Er bezog sich auf die Nachkriegssituation in Deutschland, als sich die drei Westzonen zusammenschlossen. Ein selbstbewusstes Lied, das sich auf die deutsche Kultur um Goethe und Beethoven berief, und die britische Times im Frühjahr 1949 zu der Schlagzeile “Die Deutschen werden wieder frech“ veranlasste. Berbuer starb im November 1977 im Alter von 77 Jahren, nachdem er sich durch zahlreiche Auftritte in der zurückliegenden  Karnevalssession wahrscheinlich verausgabt hatte. 

An zweiter Stelle steht „Die Doof Nuss“. Hinter diesem Künstlernamen verbirgt sich der Karnevalist Hans Hachenberg aus Bergisch Gladbach, der 88 Jahre alt wurde und auch bis ins hohe Alter noch in die Bütt ging. Wobei er bis zum Schluss in die Rolle des jüngsten Kindes einer Großfamilie schlüpfte, deren buntes Familienleben aus seiner Sicht schilderte und immer wieder die “Mam“, die Mutter der Familie als Autorität zitierte. Seine Markenzeichen waren ein blasses Clownsgesicht, ein viel zu enges schwarzes Jäckchen, ein lilafarbener Hut und weiße Handschuhe. Er wurde dafür ausgezeichnet, dass er sein Publikum jahrzehntelang humorvoll unterhielt, ohne Zoten zu reißen oder unter die Gürtellinie zu zielen.

Ganz anders war Horst Muys, dessen Name auch auf dem historischen Plakat auftaucht. Er war recht umstritten im Kölner Karneval. Die einen nannten ihn „De liebe Jung us Kölle“, die anderen warfen ihm seinen Hang zum schlüpfrigen zweideutigen Humor vor. Er veröffentlichte zusammen mit dem Kabarettisten Wolfgang Reich eine Schallplattenreihe unter dem anzüglichen Titel „Die Wildsäue“. Die Platten standen auf dem Index und durften nur unter dem Ladentisch an mindestens 21jährige verkauft werden. Trotz seiner riesigen Anhängerzahl hatte Muys zeitweise ein Auftrittsverbot im Kölner Karneval. Auch in der Westfalenhalle konnte er Zweideutigkeiten nicht lassen und entschuldigte eine Verspätung damit, dass er gerade von den „Städtischen Bienen“ komme und erwähnte in diesem Zusammenhang das Bordellviertel an der Lilienstraße.  Später ruderte er zurück und konnte zusammen mit Lotti Krekel einen großen Schallplattenerfolg mit dem „Besuch im Zoo“ landen, aber auch seine Parodie „Wärst du Dussel doch im Dorf geblieben“ errang einen beachtliche Erfolg. Ein Evergreen ist sein von Fritz Weber komponiertes Lied „Ich bin ene kölsche Jung“, das Willy Millowitsch später coverte und zu seinem eigenen machte. Muys starb 45jährig an einem Magendurchbruch. Es wird berichtet, dass etwa 7.000 Trauergäste ihm seiner Beerdigung auf dem Kölner Melatenfriedhof die letzte Ehre erwiesen, ein Querschnitt durch alle Kölner Schichten, von den Honoratioren über die Kölner Bürgerlichkeit bis zu zwielichtigen Gestalten aus der Halb- und Unterwelt und dem Rotlichtviertel, zu denen er, auch wegen seiner Abstecher als Häftling in den „Kölschen Klingelpütz“ zeitlebens gute Kontakt hatte. Seine Beerdigung endete zünftig mit Handgreiflichkeiten und einer Schlägerei, weil das Friedhofspersonal das Grab zuschaufeln wollte, bevor alle Trauergäste ihm die letzte Ehre erwiesen hatten.

Auch der oben genannte Sänger, Komponist und Kapellmeister Fritz Weber trat häufig in der „Lachenden Westfallenhalle“ auf. Sein Spitzname war „Der singende Geiger“. Zu seinen erfolgreichsten Liedern zählte eine Hymne auf das 1900 Jahre alte Köln und der Liedwunsch: „Ach wär ich nur ein einzig Mal, ein schmucker Prinz im Karneval“. Seine Liebe gehörte aber auch dem Jazz, spielte Swing, als er durch die Nazis verboten war. Als amerikanischer Kriegsgefangener gründete er 1945 eine Swing Band. Für seine Verdienste im Kölner Karneval wurde ihm die Willi Ostermann-Medaille verliehen.             

Auf dem Plakat ist auch der Name „Pelle Jöns“ zu sehen. Er war ein damals bekannter Komiker aus Hörde, der einzige Dortmunder, der auch im Kölner Karneval Fuß fassen konnte. Er war für seinen staubtrockenen Humor bekannt. Sein Markenzeichen war die ausdrucklose Mimik, die einst auch den amerikanischen Filmschauspieler Buster Keaton auszeichnete. Bürgerlich hieß er Lorenz Peter Josef Reinecke, ein Name, von dem er sich schon zu Lebzeiten distanzierte. Auch auf dem Stein seines Reihengrabes in Dortmund-Wellinghofen, der heute im Museum des Hörder Heimatvereins gelagert ist, steht nur „Pelle Jöns“.

Eine auf dem Plakat genannte Formation besteht noch heute: „Die Kölner Ratsbläser“. Gegründet wurden sie 1954, musste sich nie über Nachwuchsmangel beklagen und besteht aus 25 Bläsern. Das Ensemble besticht durch seine maßgeschneiderten Arrangements von Liedern und Hits aus dem Rheinland. Damals in der Westfalenhalle und bis heute gelingt es ihnen aber in den Gastspielen, das örtliche Publikum in die Musik mit einzubeziehen, so dass immer wieder der Funke von der Bühne in den Zuschauerraum springt. 

Es wird sicher nur ein paar Tage dauern, dann wird das alte Plakat mit den legendären Karnevalsgrößen wieder mit neuen Werbebotschaften überklebt sein. Und die Menschen, die die genannten Künstler noch live erleben konnten, werden in wenigen Jahren nicht mehr da sein. Die Künstler aber werden, dank der analogen Literatur, die über sie verfasst wurde und dank der digitalen Medien von Google über You Tube bis hin zur KI, die von ihnen zeugen und zu berichten wissen, sicher noch einige Jahre leben und abrufbar sein. 

Foto: Diethelm Textoris