Brüllt doch, brüllt…! Eine Kolumne von Peter Grohmann

Brüllt doch, brüllt…!

Von Peter Grohmann

… eiferte Alt-Nazi Kurt Georg Kiesinger bei Protesten gegen seine Auftritte. Im Gegensatz zu Walter Ulbricht (DDR) war Kiesinger der über freie und geheime Wahlen bestimmte Kanzler einer Republik, in der es von alten Nazis in Parteien, Justiz, Militär und Verwaltung nur so wimmelte. Die hatten sich in der DDR nur besser versteckt.

Angst ist ein unauffälliger, aber allgegenwärtiger Begleiter der Politik. Es ist die immerwährende Angst, dass „die anderen“ an die Macht kommen, Privilegien verloren gehen, Einfluss-Spähren schrumpfen, Diäten flöten gehen – oder alles zusammen. Gegen die blauen Wellen scheint kein Kraut gewachsen: Selbst beim Mitschwimmen kannst du untergehen – von Gelsenkirchen bis Magdeburg sind’s eben mal 380 km. In den Wäldern rechts und links der Autobahn lauern die Nazis – und plötzlich sind „alle zusammen gegen die Faschisten“ eine kleine, radikale Minderheit.

Richtig ist, dass wir fast immer recht haben, aber „diese anderen da“ nicht davon überzeugen können. Dabei reden wir – noch im Guten! – doch seit Jahr und Tag auf sie ein. Wir schreiben Bücher und geben sie ihnen zum Lesen, wir singen, machen Theater, Filme, Musik, sogar internationale Kunst: Und „die“ genießen das sogar, auch wenn sie nicht gern gendern und auf rote Sternchen oder das Binnen-I pfeifen. Sie lieben sogar Heine, obwohl der ein Jude war. Sie zitieren Hannah Arendt und wählen AfD. Sie lieben die Klofrauen aus Moldawien, die Müllmänner aus der Türkei, die Ärztin aus Syrien, die Altenpflegerin aus Polen – aber nachts, nachts, wenn die Ratten aus ihren Löchern kommen, wenn sie der Mandelkern in Hirn zum Zittern bringt, dann bleiben sie lieber zu Hause.

Es ist ungefährlich in Untertürkheim, sagen wir ihnen, aber diesmal wissen sie, dass das nicht mehr stimmt: Verbrenneraus! China! Wenn bei uns der Grundwasserspiegel sinkt, fliegen sie halt übers Wochenende nach Gulugeika, um sich den Arsch zu bräunen. Dabei haben wir doch jahrelang vornehm von Klimawandel geredd‘ und das offene Wort „Katastrophe“ gemieden, rein taktisch gesehen. Zuviel Taktik, zu wenig Mensch?

Halt, ruft da meine Omi Glimbzsch aus Zittau: „Nich imma alles über enen Lausekamm schern!“ Mit den grünen Spürhunden von Palantir machen wir uns jetzt auf die Suche nach den Bündnispartnern von morgen und locken . via Tiki-tok junge NichtwählerInnen an die Urnen.

Und doch treibt der laue Abendwind diesen Mischmasch aus Wut, Verunsicherung und schlichten Antworten durch die Länder. Vielleicht lässt diese Zeit Demokraten (auch jenseits von Oder und Neiße) zittern. So oder so:

Es braucht wetterfeste Kleider im deutschen Herbst.

Peter Grohmann * ist Kabarettist und Koordinator der AnStifter. Wir danken ihm für die Zustimmung zum Abdruck dieser Kolumne.
* peter-grohmann@die-anstifter.de