In der heutigen Folge: Haus und Grundstück
und allerlei schmerzhafte Erfahrungen
Vorbemerkungen
“Wenn ich mich recht erinnere, … ” – so hat der Mengeder Jost Hubert den Teil I seiner Aufzeichnungen überschrieben, der den Zeitraum von 1928-2008 umfasst. Das sind 80 Jahre und entsprechend umfangreich ist der Erinnerungsband auch geworden. Seine Kinder haben die handschriftlichen Notizen zu seinem 80. Geburtstag in Druck gegeben, daraus ist ein ansehnliches Buch von 330 Seiten geworden mit dem Hinweis am Schluss: Fortsetzung folgt.
Die Redaktion von MENGEDE:InTakt! wird in den nächsten Wochen in regelmäßigen Abständen Auszüge aus diesen Erinnerungen veröffentlichen, und zwar unter dem Titel: Von der Oder an die Emscher. Jost Hubert wurde am 3.8.1928 in Breslau als ältester von 14 Kindern geboren. Zum Ende der Schulzeit noch als Flakhelfer eingesetzt, geriet er in russische Kriegsgefangenschaft und kam 1946 aus Taschkent nach Osnabrück. Dort absolvierte er eine Maurerlehre, die ihn dann zur Firma Rose nach Mengede brachte. Er besuchte die Meisterschule und verbrachte die nächsten 20 Jahre “auf dem Bau”. Anfang der 50er Jahre trat er dem TV Mengede bei, lernte dort seine Ehefrau Herta kennen, mit der er gemeinsam 5 Kinder bekam. 1967 schulte er über das sogenannte “Mikätzchenmodell” zum Pädagogen um und arbeitete bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1988 als Lehrer an der Hauptschule Nette.
Die Längsseite des Wohnhauses lag nach Westen hin an der Pfaffendorfer Straße. Nach Süden hin begrenzte ein etwa zwanzig Meter langes Gebäude, das rechtwinklig an das Wohnhaus anschloss, unser Grundstück nach Süden.. Die Scheune, in der sich auch der Kuhstall befand, war nach Osten ausgerichtet. Die Nordseite war unbebaut. Das sogenannte fränkische Gehöft war wohl Grundlage der Planung. Mir kam das damals alles sehr groß vor. Als im dritten Schuljahr in einem Aufsatz die eignen Wohnverhältnisse beschrieben werden sollten, machte ich recht ungenaue Angaben. Über den Hof schrieb ich einleitend: „Unser Hof ist zehn bis zwanzig Meter lang.“ Natürlich wurde diese Längenangabe rot markiert. Bei einem Besuch Jahrzehnte später schritt ich die Längsseite ab, es waren gut zwanzig Meter. Bis auf einen kleinen Teil war der Hof gepflastert. Das Pflaster wurde jeden Sonnabend von uns Kindern mit Rutenbesen gefegt. Gelegentlich wurde uns auch das Reinigen der Ferkelställe übertragen.
Der interessantere Teil unseres Grundstücks lag hinter der Scheune. Das waren wohl rund 5000 Quadratmeter Acker und Wiese, die wir nur hinten draußen nannten. Es war der Spielplatz unserer Kindertage. Da gab es auch einen Teil der als Garten diente. Dort wurde schon mal ein altes Auto abgestellt. Ich erinnere mich an die Marken Chevrolet und Citroen. Diese zu Ferkeltransportern umgebauten Pkws sollten nicht dort dahinrosten, sondern zur Kükenaufzucht genutzt werden. Diese Schiepel, wie man sie in Schlesien auch nannte, waren in einer Brutmaschine geschlüpft, die wir zuvor mit Eiern aus unserem Stall beliefert hatten. Nach einer gewissen Zeit, wenn das Geschlecht der Küken erkennbar war, wurden die Hähnchen aussortiert und in der alten Autokarosserie untergebracht.
Später kam der Kastrierer Theo Weißenburg und kapaunisierte die Tiere. Die gemästeten Hähnchen wurden dann an Neumarkter Restaurants verkauft. Der Herr Weißenburg war auch für die Sterilisation von Ferkeln zuständig. Es gab viele Kunden, die wollten ihre Ferkel kastriert (geschnitten) haben, so hatte Herr Weißenburg immer gut zu tun bei uns. Wir Kinder durften ihm bei der Arbeit nicht zusehen, hörten nur das Gequieke der Ferkel, die man für diese Operation an einer Leiter festband. Kurz nach dem Eingriff hopsten sie wieder auf dem Hof herum. Nach dem Krieg traf ich den Schweindelschneider mal in Georgsmarienhütte bei Osnabrück.
Im Wohnzimmer stand am Fenster ein kleiner runder Tisch, das sogenannte Nähtischel. Hier wurden Strümpfe gestopft und Knöpfe angenäht. Daneben lag ein helles Schaffell. Als Sechsjähriger hopste ich einmal barfuss auf diesem Fell herum, als ich plötzlich einen stechenden Schmerz verspürte. Eine Nähnadel war so tief in den Spann eingedrungen, dass nichts mehr von ihr zu sehen war. Man brachte mich ins nahegelegene St. Elisabeth – Krankenhaus. Dr. Kubisch entfernte die Nadel unter Narkose. An diese Äther-Anästhesie habe ich eine schlechte Erinnerung: Der Kopf dröhnte, man glaubte Sterne zu sehen und wenn man das volle Bewusstsein wieder erlangt hatte, musste man sich erbrechen.
Es war keine schwere Operation. Immerhin lag ich einen Tag mit verbundenem Fuß im Bett. Ich könne jetzt ja sterben, denn meine Schularbeiten habe ich schon gemacht, soll ich da geäußert haben. Damals war ich gerade eingeschult worden.
Es war wohl im Jahre 1937 als ich heftige Leibschmerzen hatte und der Dr. Kubisch Blinddarmentzündung diagnostizierte. Wieder musste ich im Krankenhaus die furchtbare Äther-Narkose über mich ergehen lassen. Ihre Wirkung empfand ich noch schlimmer als beim ersten Mal. Als ich aus der Betäubung erwachte, lag ich allein im Krankenzimmer. Als eine der Schwestern hereinschaute, verlangte ich nach Wasser. Doch die Ordensschwester meinte mit dem Trinken müsse ich noch warten, so lag ich wohl noch einige Zeit. Durch das Fenster fiel von der Gartenstraße her Licht in das Zimmer. Mein Blick richtete sich auf den Waschtisch. Dort stand in einer Waschschüssel ein Wasserkrug. Als mich der Durst immer mehr quälte, stieg ich vorsichtig aus meinem Bett, schlich zum Waschtisch, nahm einen mächtigen Schluck aus dem Krug und kroch zurück ins Bett. Danach bin ich wohl eingeschlafen. Von meiner lebensgefährlichen Aktion habe ich niemandem etwas erzählt.
Sehr gute Erinnerungen habe ich an die Ordensschwestern, die sogenannten Grauen Schwestern. Da war die Schwester Eveline, die auch zu uns ins Haus kam, um bei der Heilung unserer kleinen Wehwehchen zu helfen. Im Krankenhaus gab es eine bildhübsche Schwester mit Namen Gonzaga. Die Gräber dieser Schwestern sind die einzigen, die auf dem Neumarkter Friedhof zusammen mit dem des Erzpriesters Fels erhalten sind.