Wir sind der Verfassungsschutz
Eine Kolumne von Peter Grohmann
KONTEXT:Wochenzeitung vom 19.09.2018
Dieser Tage demonstrieren vielerorts Freunde und Feinde der Verfassung – dafür und dagegen, und manchmal ganz unbewusst. Die jüngsten Demos in Stuttgart, bei denen die meisten Demonstranten zu Hause geblieben sind, richteten sich nicht nur gegen die Rechtspopulisten, sondern auch an die Öffentlichkeit. Die Botschaft ist klar: Wir sind der Verfassungsschutz! Wir sind Vielfalt.
Aber dazu brauchen wir euch, sonst klappt das nicht. Dass es im Lande an Gerechtigkeit fehlt, ist nichts Neues. Aber vor allem fehlt’s an einer Bewegung, die vehement für Verfassung und Demokratie eintritt – nicht im stillen Kämmerlein, sondern “draußen vor der Tür”. Wer wollte sich der Erkenntnis verschließen, dass die größten Gefahren für die Menschen von Isolation, Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit ausgehen? Humanität und Menschlichkeit sind hohe Ansprüche – aber sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben sind, wenn sie nicht wieder und wieder im Handeln eingelöst werden. Oder so: Wer zu Hause hocken bleibt, hat schon verloren. Das sagt sogar Winfried Kretschmann.
Bei allem Aufbruch und Aufstehn und Ruckeln durchs Land schaut es eher so aus, als sei kaum jemand (außer Ihnen) in der Lage, die Verfassung, die Demokratie angemessen zu schützen. Das Problem: Den staatlichen Akteuren selbst und ihren Aufsichtsräten im Bundestag trauen viele schon lange nicht mehr so recht über den Weg – und nicht erst seit der Causa NSU.
Zum Mitdenken: Große Teile des NSU-Komplexes sind nicht aufgeklärt. Nach dem Verfahren und dem Urteil von München bleiben mehr Fragen offen als vorher – auch, weil die Dienste ihren Kontrolleuren die Kontrolle verweigern. Die politisch-militanten Szenen, rechts wie links, sind bekanntermaßen mit V-Leuten durchsetzt, und so stehen Untersuchgasausschüsse, Abgeordnete und erst recht die Medien wie der Ochse vorm Berg, wie meine Omi Glimbzsch in Zittau gern sagte.
Nicht erst seit dem G20-Gipfel in Hamburg, auch aus der Vergangenheit und lange “vor NSU” sind genügend Beispiele bekannt, in denen der Verfassungsschutz als Animateur für Straftaten fungierte. Wenn irgendwo gezündelt wird, muss die Rolle der “Dienste” konsequent ausgeleuchtet werden.
Der Hinweis auf ein angeblich umfassendes rechtes Netzwerk unterschlägt geradezu die Beteiligung deutscher Dienste. Fragt sich, welche Motive die dienstbaren Geister der Verfassung haben.
So oder so: Für Demokraten ist der Einsatz für die Verfassung alternativlos.