Ein neues Gedicht von Gabriele Goßmann – Buchhandlung am Amtshaus

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#Erntedank auf Instagram

Vorbemerkungen:
Die älteren Leser werden viele Begriffe wahrscheinlich nicht kennen, aber es wäre ja auch unpassend, alles zu übersetzen. Vielleicht nur zu zwei Begriffen: “baken” ist eine Schminktechnik des Konturierens und “Flatlay” ist eine Art des Fotografierens (einzelne Komponenten werden nett arrangiert und von oben fotografiert).

Ich bin jedenfalls auf die Idee zu diesem Gedicht gekommen, weil ich schon seit längerer Zeit in den sozialen Medien – Instagram ist nur ein Beispiel – beobachtet habe, dass dort Lebenssituationen künstlich erzeugt werden, um sich nach außen gut darzustellen. Dadurch wird das ganze Leben darauf ausgerichtet, gute Bilder zu machen. Am stärksten ist mir das an meinem eigenen Verhalten bewusst geworden. Ich habe meinen letzten Urlaubsort anhand des Kriteriums festgelegt, wo man bessere Fotos machen kann. Während des Urlaubs war ich dann nur auf der Suche nach beeindruckenden Motiven, was mich richtig unter Druck gesetzt hat. Erntedank ist auch nur ein Beispiel von vielen. Viele Feste werden nicht mehr als Tradition geschätzt, sondern nur noch als Bildmaterial verwertet.

#Erntedank auf Instagram

Gabriele Goßmann

Die Kürbisse auf Hochglanz poliert
und mit Deko pompös verziert,
werden schön drapiert.

Du positionierst dich im Sonnenblumenfeld
und gibst dich aus als Held.

Du gibst dein eintrainiertes Lachen,
als würdest du nie was anderes machen.

Von den letzten Sonnenstrahlen beschienen
glänzt dein Highlighter wie hundert Goldmienen.

Dein Gesicht ist mit Puder gebakt,
es ist einfach alles genauestens gefakt.

Dann machst du ein Selfie vor der Kulisse,
ohne jegliche Gewissensbisse.

Die Message an deine Follower:
Seht –
wie mein Haar im Herbstwind weht!
Wie mein Mantel farblich zum Kürbis passt,
die Pose perfekt erfasst.

Der Weizen wird als Flatlay hergerichtet,
der Fokus ausgerichtet,
abgelichtet
und schließlich vernichtet.

Danach machst du ein Superfoodbowl-Foodie
im teuren neuen angeranzten Hoodie,
der verheißen soll: Ich kann auch shabby und sporty,
und du bekommst von mir auch noch ein Goodie.

Doch eines Tages kommt die Zeit,
in der du weißt, es geht zu weit.

Du wirfst einen Blick auf deine Pics
und merkst, du fühlst dabei nix.

Als Kind war ich eins mit der Natur,
doch wie weit entferne ich mich nur?

Die vermeintlichen Vorbilder
sind doch nichts weiter als Zerrbilder.

Ich registriere, ich habe den Sinn von Erntedank
ganz und gar verkannt,
hab’ mich in meinen Storys verrannt.

Ich hab’ nur so getan, als hätte ich gelebt,
aber es ist noch nicht zu spät!

Ich geh’ wieder raus in die Natur
und lebe einfach nur!

Anmerkungen:
In der Buchhandlung „Am Amtshaus“ sind kreative Menschen beschäftigt. Sie beraten kompetent beim Kauf von Romanen, Krimis, Sach- und Reisebüchern und was es sonst alles an lesenswerten Dingen gibt. Und sie empfehlen regelmäßig besondere Bücher auf unserem Internetportal ( s. hierzu die regelmäßige Kolumne von Hella Koch) Künftig werden sie aber auch Gedichte empfehlen; Gedichte, die sie ausgewählt, machmal aber auch selbst geschrieben haben.
Verantwortlich für diese Serie ist Gabriele Goßmann.  Sie ist die Jüngste im Team der Buchhandlung und absolviert dort z. Zt. eine Ausbildung als Buchhändlerin. Vorher hat sie studiert und das Studium mit einem Masterabschluss in Germanistik und Geschichte erfolgreich beendet. Sie ermuntert besonders gern junge Menschen, zu lesen und sich mit Literatur zu beschäftigen.

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