„Gärten des Grauens“ von Ulf Soltau* – Statt einer Buchbesprechung

Der Tod der Natur in den Vorgärten

Vorbemerkungen:
Statt einer Buchbesprechung in der gewohnten Form veröffentlichen wir heute ein Interview mit Ulf Soltau, dem Autor des im letzten Jahr erschienen Buches „Gärten des Grauens“. Das Interview hat Beate Schwedler geführt; sie ist Vorsitzende des Vereins „Dunkelbunt“ und verantwortlich für den Blog „Forum dunkelbunt“, in dem das Interview erschienen ist.  www.forum-dunkelbunt.de
MENGEDE:InTakt! bedankt sich bei Beate Schwedler für die Möglichkeit das Interview einschließlich der Fotos abzudrucken.

Die Beschäftigung mit dem Tod lehrt, das Leben zu lieben. Die freiwillige Hinrichtung fast allen Lebendigen in manchen Vorgärten löst bei uns Bestürzung aus – und auch bei den (Mit-)Machern von „Gärten des Grauens“, einem Facebook-Projekt, das mit satirischen Mitteln der totgestaltenden Gartenkultur den Kampf angesagt

Die bescheidene Variante der ureigenen Hoffnung auf ein ewiges Leben besteht darin, seiner Nachwelt etwas Dauerhaftes und Unverrückbares zu hinterlassen…

Dunkelbunt: Wie sind Sie auf die Idee zu dem Projekt „Gärten des Grauens“ (GdG) gekommen?

Ulf Soltau: Ich selbst bin Botaniker und leidenschaftlicher Gärtner. Die Idee zu „GdG“ kam mir, nachdem ich auf so manche gärtnerische Grausamkeiten in Gartengruppen sozialer Netzwerke aufmerksam wurde. Steinwüsten setzen sich in manchen Regionen vermehrt durch.

Ordnungswahn im Outdoor-Wohnzimmer

Dunkelbunt: Wie erklären Sie sich die freiwillige Hinrichtung allen Lebendigen in den Vorgärten?

Ulf Soltau: So naturferne Gärten, wie wir sie auf GdG besprechen, kann ich nur über eine wachsende Entfremdung des Menschen von der Natur erklären. Mit dem allgemeinen Artenrückgang und der großräumigen Vernichtung naturnaher Grünflächen in Stadt und Land verschwindet offenbar auch der persönliche Bezug zur Natur und das Verständnis für Naturschutzbelange. Hinzu kommt ein pervertierter Ordnungswahn, der die Wohnungen niemals hätte verlassen dürfen, sich jetzt aber in sog. Outdoor-Wohnzimmern breit macht und selbst vor kleinsten Hinterhöfen und Gartenwinkeln nicht halt macht. Heute findet man eine größer Artenfülle auf vermüllten Bahndämmen, als in deutschen Vorgärten.

Stilmittel: Geometrie. Ziel: Naturbeherrschung.

Ein Schottergarten macht mehr Arbeit als ein Naturgarten

Dunkelbunt: Das Lebendige macht aber nun mal einen Haufen Arbeit, könnte man sagen – oder stimmt das vielleicht gar nicht?

Ulf Soltau: Offene, unbesiedelte Böden werden von der Natur früher oder später zurück erobert. Man nennt das natürliche Sukzession. Erst kommen kurzlebige Pioniergewächse, dann Gräser und Stauden, später standorttypische Sträucher und Büsche und noch später Bäume unterschiedlicher Arten. Um einen Garten in seiner Struktur über die Jahre zu erhalten muss der Gärtner mit diesem Naturgesetz arbeiten. Dazu sollte er die Ansprüche seiner eingesetzten Pflanzen und die biotischen und abiotischen Faktoren in seinem Garten genau kennen.

Während den Delphinen in den Meeren die Vermüllung und andere Umweltbelastungen zusetzen, finden sie in diesem steinernen Refugium einen Rückzugsort.

Unterschiedliche Pflanzenarten haben unterschiedliche Ansprüche an ihren Lebensraum. Ein Farn bevorzugt den feuchten Schatten, ein Lavendel mag eher trockene, nährstoffarme, aber sonnige Standorte, eine Prachtscharte liebt es dagegen sonnig und feucht, hasst aber Kaninchen usw.

Sollte man aus nostalgischen Erwägungen dennoch nicht ganz auf Pflanzen verzichten wollen, dann hält der Fachhandel adäquate Vorgartengewächse bereit: Thuja-Persiflagen und Buchsbaum-Karikaturen…

Wer sich die Mühe macht, seinen Garten bezüglich seiner Standortfaktoren genau zu analysieren (eine Aufgabe, die jeder seriös arbeitende Gärtnereibetrieb vornehmen können sollte), der weiß die richtige Pflanze am richtigen Standort einzusetzen. Dort ist die Pflanze dann konkurrenzstark und unterdrückt andere, möglicherweise unerwünschte Pflanzen, ohne viel Zutun des Gartenbesitzers. Ein mit diesen Prinzipien der Natur angelegter Garten macht viel weniger Arbeit als ein Schottergarten, dessen Ist-Zustand mit großem Aufwand und unserem regelmäßigen Eingreifen aufrecht erhalten werden muss.

Das Leben gestaltet sich selbst

Schon allein aus thermodynamischer Sicht (Entropie) ist die Aussage nicht haltbar, ein naturnaher Garten mache mehr Arbeit als ein naturferner Schottergarten. Im Gegenteil: Das Leben (z.B. die Pflanze) zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es sich und seinen Lebensraum, unter Aufwendung von Energie, selbst gestaltet. Die künstliche Ordnung in toten Systemen muss hingegen allein von UNSERER Arbeit aufrecht erhalten werden.

Wahre Schönheit kommt von innen.Arbeitserleichterung braucht Leidenschaft und Know How

Zur Arbeitserleichterung braucht ein lebendiger Garten also vor allem Leidenschaft und Know How. Ein Schottergarten hingegen braucht ein teures Unkrautvlies, einen Laubbläser, die Giftspritze, bisweilen sogar Wasserstoffperoxid, um die Steine frei von Algen zu halten – wie ich kürzlich lesen musste – und zu guter Letzt einen Psychotherapeuten für dessen Besitzer.

Dunkelbunt: Okay, überzeugt! Das Gärten-Bashing ist natürlich lustig – aber bringt es etwas? Also, gibt es auch einen Weg, jemandem klar zu machen, dass Natur schöner ist als Ordnung?

Pflanzen im Garten? Das ist heute schon lange kein Muss mehr. Der moderne Schottergarten ist vielfach schon komplett pflanzenbefreit und daher praktisch pflegefrei.

Ulf Soltau: Das Ziel von GdG ist nicht, Schottergärtner eines Besseren zu belehren, oder sogar zu überzeugen. Es ist natürlich zu begrüßen, wenn das passiert, doch GdG geht es viel mehr darum, auf eine völlig kontraproduktive Entwicklung im Gartenbereich (in Hinblick auf Artenschutz und Klimawandel) hinzuweisen und mit Humor und Augenzwinkern auf einen gesellschaftlichen Stimmungswechsel hinzuwirken. Schottergärten müssen in der breiten Öffentlichkeit endlich als das gesehen werden, was sie sind: ein verantwortungsloser Frevel gegenüber Natur, Klima und kommenden Generationen, ein trauriges Armutszeugnis und peinlicher Beweis des eigenen Unvermögens, ein garten-kulturhistorischer Kotau vor den Geschmacksmonopolisten Hellweg, Obi, Bauhaus & Co. und im hohen Maße lächerlich.

Es geht um Beschämung.

Interview: Beate Schwedler

Dunkelbunt: Vielen Dank für das Gespräch.

 

 

 

 

Ulf Soltau ist studierter Biologe, arbeitete u.a. im Podocarpus-Nationalpark in Ecuador und setzt sich mittlerweile intensiv mit den Eigenheiten der Gartenkultur auseinander. Mit Wortwitz und hintergründiger Gesellschaftskritik erreichte seine Facebook-Seite Gärten des Grauens große Popularität und erfuhr ein riesiges Medienecho. Längst ist Soltaus Projekt die erste Adresse, wenn es um die Dokumentation erschreckender Gartentrends geht.

6 Gedanken zu „„Gärten des Grauens“ von Ulf Soltau* – Statt einer Buchbesprechung

  1. Es macht mich unbeschreiblich traurig und wütend, dass sich die Naturverbannung und -Entfremdung ausgerechnet in einer Zeit ausbreitet, wo wir umfassende Informationen über das Artensterben und den Klimawandel haben. Was läuft falsch bei solchen Menschen? Zumal es sich ja um unbeschreiblich hässliche Flächen handelt. Schön, dass das Thema publik gemacht wird. Vielen Dank dafür! Ich werde mich weiterhin gegen diesen Irrsinn wehren, wo ich nur kann. Gerade hat eine Nachbarin in meiner Gartenstadt bis auf 3 Bäume sämtliche Pflanzen samt Wurzeln aus ihrem Garten entfernen, die Fläche verdichten / glätten lassen und plant dort Kunstrasen zu verlegen! Was ist das nur für eine Welt?
    Sabine Ebel

  2. Ich habe Ulf Soltau heute ( 30.7. 21) in einer Talkshow gesehen, in der er über die Gärten des Grauens gesprochen hat und die Bilder in seinem Buch gezeigt wurden. Diese Bilder haben mich sprachlos gemacht. Mir sind diese Gärten des Grauens auch schon zunehmend aufgefallen, aber dass es soviel von diesen Schottergärten gibt, hätte ich niemals gedacht. Was geht in den Köpfen dieser Menschen vor? Dieser Schotter ist unendlich hässlich und die Natur hat keine Chance mehr. Es gibt die schönsten Pflanzen in Blumenladen und Garten entern und die Leute nachdenken das aus ihren Vorgärten? Wo ist Pkatz für Insekten usw? Mit welchem Recht nehmen wir der Natur Stück für Stück alles weg? Diese Schottergärten sind abartig und gehören absolut verboten.!!! Jede Gemeinde sollte das verbieten, ja sogar die Bürger zwingen, in den Vorgärten eine bestimmte Menge Blumen zu pflanzen. Vor allem Sorten, die Insektenfreundlich sind. Im Angesicht der Klimakrise müssen die Leute gezwungen werden, wenn sie nicht selbst ihren Verstand einschalten. Danke an Ulf Soltau für diese Bilder,vielleicht denken die Menschen mal über ihren Wahnsinn nach. Jeder der so einen Schottergarten hat, hat keinen schlechten Geschmack, sondern besitzt keinen Verstand, überhaupt keinen…!!!

  3. Warum ist dieser Spinner gegen Eigentum das sich die Leute hart in ihrem Leben erarbeitet haben. Mein Eigentum geht diesen Menschen überhaupt nichts an, ob Schottergarten oder Blumenwiese ist meine Angelegenheit. Ich denke dieser Mensch hat selbst überhaupt nichts und ist neidig auf Schottergärten, die zum Größtenteil sehr gepflegt aussehen. In unseren Städten gibt es so viel Dreck und Müllecken soll er sich doch dadrum kümmern und selbst Hand anlegen und diesen beseitigen.

  4. Jochen Sauerbier Stadtrat Roßleben-Wiehe
    Ich habe einen Antrag zum Verbot der Schottergärten eingereicht, der große Diskussionen ausgelöst hat. Ich würde ihr Projekt, „Gärten des Grauens“, gern mit Fotos unterstützen.

  5. Genau zur richtigen Zeit erschienen.Sehr gut pointiert! Wenn es nicht so traurig wäre , müsste man darüber lachen. Es hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Wie in den Gärten, so wird es auch in den Köpfen aussehen. Ein Trend hält immer 10-20 Jahre, die nächste Generation darf es teuer entsorgen.
    Nur ein Kritikpunkt: Menstruierendes Haus finde ich etwas abwegig.
    Ansonsten bitte weiterhin solche schrecklichen Gärten veröffentlichen,damit mehr Druck entsteht.

  6. Seit einigen Jahren arbeite ich in einem sehr großen Pflanzenmarkt in Sachsen-Anhalt und berate dort Kunden bei der Auswahl von Gehölzen und Stauden.
    Wenn ich nach den Standortbedingungen frage, wird immer wieder der „Steingarten“ oder das „Kiesbeet“ genannt, oft gleich mit den zentimetergenauen Abmessungen und zur besseren Veranschaulichung mit Bildern auf dem Smartphone. Wenn ich dann noch frage, warum ein Kiesgarten, dann kommt als Begründung meistens, die Fläche dürfe keine Arbeit machen. Es handelt sich meistens um Kleinstfächen von weniger als 50 Quadratmeter. Meine Antworten begeistern die Kunden eher nicht, denn ich sage ihnen klipp und klar, daß ich diese Verschandelung von Gartenflächen ablehne und deshalb in dieser Richtung auch nicht berate, hinsichtlich Alternativen aber gerne.
    Ich bin sehr, sehr dankbar für dieses Buch(meine Tochter schenkte es mir zum Geburtstag) und für den Facebook-Auftritt, den ich fast täglich ratsuchenden Kunden empfehle.
    Bleibt zu hoffen, daß die Politik endlich erwacht und in ganz Deutschland dieser Schotterwahn verboten wird!

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