Emschergenossenschaft und Lippeverband haben ihre Vergangenheit aufarbeiten lassen

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“Auch EGLV waren Teil des verbrecherischen nationalsozialistischen Systems”

Die beiden Wasserwirtschaftsverbände Emschergenossenschaft und Lippeverband (EGLV) haben ihre Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus erforschen lassen und erste Erkenntnisse im vergangenen Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt. Ausführliche Ergebnisse der Forschungen sind nun in dem Buch „Fließende Grenzen – Abwasserpolitik zwischen Demokratie und Diktatur“ (Klartext Verlag, ISBN: 978-3-8375-2183-2) veröffentlicht worden.  Das Buch wurde jetzt in Essen in Anwesenheit aller drei Vorstandsmitglieder von Emschergenossenschaft und Lippeverband sowie der beteiligten HistorikerInnen der Ruhr-Universität Bochum vorgestellt.

Verantwortung in der Region
„Die Geschichte unserer Verbände während der Zeit des Nationalsozialismus hat gezeigt, dass vornehmlich technische Infrastrukturen wie die Abwasserwirtschaft im Ruhrgebiet alles andere als unpolitisch waren und sind. Sie sind immer Teil der Gesellschaft und des aktuellen politischen Systems“, so Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband.
Dr. Emanuel Grün, Technischer Vorstand bei den Verbänden, sagt: „Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass wir als Vorstand auch für die Vermittlung humanistischer Werte Verantwortung übernehmen können.“
Raimund Echterhoff, bei EGLV Vorstand für Personal und Nachhaltigkeit, sagt: „Anhand der Geschichte unserer Verbände werden wir unsere Auszubildenden für das Thema Nationalsozialismus und Fremdenfeindlichkeit sensibilisieren. as Ziel ist dabei, dass die Auszubildenden ihre eigene Rolle in aktuellen politischen Entwicklungen reflektieren.“

Ergebnisse der Forschungen
Im vergangenen Jahr hatten Eva Balz und Christopher Kirchberg Belege für den Einsatz von Zwangsarbeitern durch die Wasserverbände vorgestellt und die Aktenvernichtung nach Kriegsende thematisiert. Auch hatten die Nachforschungen gezeigt, dass auch bei EGLV Beschäftigte von rassistischen und politischen „Säuberungsprozessen“ betroffen waren. „Die beiden Abwasserverbände waren Teil des menschenverachtenden Systems der Nationalsozialisten. Sie entließen Mitarbeiter jüdischen Glaubens oder sozialdemokratischer Überzeugungen und beschäftigten über ihre Auftragnehmer indirekt Zwangsarbeiter auf ihren Baustellen. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Vorstand und die leitenden Mitarbeiter bei EGLV überzeugte Nationalsozialisten waren“, sagt Eva Balz.

Beide Forschenden kommen in ihrem Buch zu der Erkenntnis, dass es im Handeln der Verbände nie wesentlich gewesen ist, inwiefern die Leitung sich mit den Zielen des Nationalsozialismus identifizierte. Im Vordergrund stand für EGLV stets die Frage, welche Entscheidungen ökonomisch vorteilhaft waren. Die Folgen des Nationalsozialismus wurden damit mindestens stillschweigend in Kauf genommen. Im Ergebnis stellt das Buch EGLV als eine Organisation vor, die sich stets als unpolitisch begriff und darstellte. Dieses Bild, so die Historiker, ist jedoch grundfalsch: Auch die Handlungen eines technisch geprägten Infrastrukturunternehmens, in dem vorwiegend nach ökonomischen Gesichtspunkten Entscheidungen getroffen wurden, waren politisch. Die Frage nach „Tätern“ ist so vielleicht nicht die richtige: Statt einigen schillernden Tätern und „Nazis“ tritt eine Vielzahl von Personen in den Blick, die Verantwortung am Nationalsozialismus und seinen Verbrechen mittrugen.

Mitmachen durch Wegschauen
So lässt sich am Beispiel des Chefchemikers Dr. Hermann Bach erkennen, dass es für EGLV zweckmäßiger war, sich von einem lang gedienten Mitarbeiter zu trennen als für ihn zu kämpfen. Dadurch lässt sich zwar keine direkte Verantwortung für Bachs Tod 1944 in einem Sammellager in Berlin ausmachen. Allerdings stellten sich die Verbände auch nicht vor den verdienten Mitarbeiter – stattdessen wurden NS-Gesetze widerstandslos ausgeführt.

Durch Fotos und Bauakten sowie Rechnungen lässt sich belegen, dass auf diversen Baustellen der beiden Verbände mindestens 100 sogenannte Fremdarbeiter zwischen 1942 und dem Kriegsende eingesetzt wurden. Auch hier waren mehr wirtschaftliche als ideologische Motive maßgebend für den Kriegsgefangeneneinsatz auf den Baustellen von EGLV: Nicht das durch die Machthaber propagierte Motiv der Vernichtung durch Arbeit, sondern die einfache Verfügbarkeit der Arbeiter diente als Hauptargument für den Einsatz von holländischen, französischen, russischen und jüdischen Arbeitern, denn diese ermöglichten EGLV ihre Arbeiten planmäßig (im Sinne des Systems) zu erfüllen, was ein gewichtiges Argument für die Wahrung der Selbstständigkeit der Abwasserverbände war.

Hintergrund
Das Team der Ruhr-Universität Bochum – Dr. Eva Balz und Christopher Kirchberg unter der Leitung von Prof. Dr. Constantin Goschler – hat für die Studie in zahlreichen Archiven recherchiert, u.a. im Bergbauarchiv (Bochum), bei der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln, im Westfälischen Wirtschaftsarchiv (Dortmund), im Landesarchiv Rheinland (Duisburg), im Landesarchiv Westfalen (Münster), im Bundesarchiv (Berlin), im Bundesarchiv (Koblenz), im Geheimen Preußischen Staatsarchiv (Berlin, in den National Archives (London) sowie im eigenen Foto-Archiv von Emschergenossenschaft und Lippeverband.

Quelle: EGLV

 

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