System Tönnies/Westfleisch und das moderne Sklavenhaltertum

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Werkverträge – ein probates Mittel für Lohndumping, Arbeitsrechtsverstöße, aber auch für Gewinnmaximierung

Industrielle Fertigung zur Billigfleisch-Produktion
Werkvertrag: Was ist das überhaupt?

Ein Werkvertrag wird zwischen einem Auftraggeber und einem Auftragnehmer über die Erstellung eines „Werks“ (Beispiel: Betrieb einer Werkskantine) zu einem vereinbarten Preis geschlossen. Die Werkvertragsfirma entscheidet dabei selbstständig, mit wie vielen Arbeitskräften, mit welchem Material und mit welchem Zeitaufwand sie die Arbeit erledigt. Der Auftraggeber bezahlt am Ende nur für das Ergebnis, nicht aber den Lohn für die Arbeitskräfte oder die Arbeitszeit.

Zur Veranschaulichung: Nicht die Firma, die die Kantine ausgelagert hat, entscheidet, was in die Töpfe kommt und wie viele Köche in der Küche stehen, sondern die Vorgesetzten der Werkvertragsfirma.

Die Werkvertragsmitarbeiter sind gegenüber den Stammbeschäftigten in der Überzahl. Schätzungen zufolge liegt ihr Anteil bei etwa zwei Dritteln. Im Schlachtbetrieb Rheda-Wiedenbrück sind von bis zu 6000 Beschäftigten rund 2700 Festangestellte. Der niedrige Lohn der Werkvertragsarbeitnehmer löst auch Druck auf die Löhne der Festangestellten aus.

Durch die Auslagerung verschiedenster Arbeitsbereiche an Subunternehmen könnten sich Schlachthöfe bei den Arbeitsbedingungen vollkommen aus der Verantwortung ziehen. Probleme gibt es beim Mindestlohn, bei der Arbeitszeit, beim Arbeits- und beim Gesundheitsschutz. Werkvertragler können keinen Betriebsrat wählen und sich auch nicht selbst zur Wahl stellen. Das Kündigungsschutzgesetz gilt nicht. Der Mindestlohn gilt zwar im Prinzip, aber nicht für diejenigen, die als Selbständige beziehungsweise als Scheinselbständige arbeiten. Tarifliches Recht auf Kranken-, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gilt nicht.

In Fleischbetrieben seien die Mitarbeiter der Werkvertragsfirmen zudem meist vollständig in die laufende Produktion eingebunden. Daher könnten sie nicht eigenständig und selbstverantwortlich handeln, wie es bei Werkverträgen eigentlich vorgesehen ist. Um die Gewinnmarge zu erhöhen, ziehen viele Subunternehmer große Teile des Lohns für Verpflegung, Unterkunft oder Transport ab.

Tönnies hat die breite Nutzung von Werkverträgen in der Branche verteidigt. „Das System Werkverträge zu verteufeln, würde uns das Genick brechen”, und setzt erpresserisch fort: “Ohne das System Werkverträge könne man die Werke nur ins Ausland verlagern”.

Wer sind denn diese Werkvertragsarbeitgeber?

Kennen Sie die Firmen Agriserv Europa Meat ZNL oder Christian Fleisch – nie gehört? Dies sind nur zwei Beispiele für ca. 15 Unternehmen. Erstere ist eine Rumänische Firma, letztere ein Deutsches. Beide fühlen sich für die Bereiche Schlachten, Zerlegen und Reinigen kompetent – auch wenn deren Internetseite wenig Informatives enthält.

Neffe Robert Tönnies, Mitinhaber des Tönnies-Konzerns, hat bereits seit Jahren vergeblich versucht, Werkverträge im Unternehmen abzuschaffen und Maßnahmen für mehr Tierwohl durchzusetzen. Gescheitert sind diese Initiativen am Widerstand seines Onkels Clemens Tönnies, Firmenchef und Schalke 04-Boss.

Kaum 5 Euro Netto pro Stunde

Er wollte schon vor sieben Jahren von seinem Onkel wissen, warum bei den Werkvertragsarbeitern angeblich kaum fünf Euro Nettoverdienst hängen bleiben, obwohl die durchschnittlichen Kosten für eine Werkvertragsstunde bei 15 Euro liegen. Die Direktanstellung mit Zahlung eines Mindestlohns sei der bessere Weg. Bei einem Mindestlohn von seinerzeit 8,50 Euro würden sich für Tönnies Kosten pro Stunde von 11,80 Euro ergeben. 

Die Abstandsregel kann so nicht eingehalten werden

Darüber hinaus kommen die Werkvertrags-Mitarbeiter meist aus Ost- und Südeuropa. In der Regel werden sie in Sammelunterkünften untergebracht – mit ein Grund, warum sich das Coronavirus unter Mitarbeitern in Schlachthöfen rasant ausbreiten konnte. Häufig verhindern fehlende Sprachkenntnisse auch, dass die Arbeiter ihre Rechte kennen und einfordern können. Auch diejenigen, die sich ihrer Rechte bewusst sind, beschweren sich nicht – aus Angst, ihren Job zu verlieren.

Werkverträge als moderne Sklaverei

Hinzukommen weitere Praktiken. Selbst der Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung in Paderborn, Friedhelm Koch, sieht Tönnies als „Sklavenhalter“. In zwei Branchen bestehe diese moderne Sklaverei. Damit wird die Armut in den von der EU verarmten Peripherie-Staaten ausgenutzt, nämlich in der Prostitution und in der Fleischzerlegung, sagt Koch. Diese Art moderner Sklaverei zeige sich darin, dass Tönnies den Werkvertraglern „schon einmal 200 Euro für ein Bett in einer überfüllten Wohnung abzieht“.

Verbot von Werkverträgen: Was plant die Politik?

Mitte Mai hat die Bundesregierung die Eckpunkte des sogenannten Arbeitsschutzprogramms für die Fleischwirtschaft beschlossen. Demnach sollen Werkverträge (leider erst) ab dem 1. Januar 2021 in der Fleischindustrie weitgehend verboten werden. Das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch soll dann nur noch durch Angehörige des eigenen Betriebs zulässig sein.

Kein Wunder, dass sich der Widerstand der Lobbyisten formiert: Nach dem Beschluss des Eckpunktepapiers der Bundesregierung war Kritik vor allem in der Fleischindustrie und in der Landwirtschaft laut geworden. Die Fleischindustrie wies Vorwürfe zurück, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Hygienestandards und Arbeitsschutzbestimmungen würden nicht unterlaufen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil verteidigte indes das geplante Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie. Für ein Geschäftsmodell, das Ausbeutung und eine Ausbreitung von Pandemien in Kauf nehme, könne es in Deutschland keine Toleranz geben, sagte der SPD-Politiker.

Tönnies kündigt Maßnahmen an, die er bald sowieso umsetzen muss

Angesichts des massiven Corona-Ausbruchs in seinem Betrieb hat er nun ein Ende dieser Arbeitsform angekündigt – was er dann ja ohnehin müsste. Deutschlands größter Schlachtbetrieb will demnach bis Ende 2020 alle Werkverträge “in allen Kernbereichen der Fleischgewinnung” abschaffen und die Mitarbeiter in der Tönnies-Unternehmensgruppe einstellen. Das teilte Tönnies in Rheda-Wiedenbrück mit. Der Tönnies-Konkurrent Westfleisch hatte angekündigt, bis Ende des Jahres sogar sämtliche Mitarbeiter selbst einzustellen und auf Werkvertragsanbieter zu verzichten.

Es bleibt abzuwarten, ob das Arbeitsschutzprogramm in geltendes Recht gegossen wird und ob erforderliche Kontrollmaßnahmen getroffen werden, um Gesetzesverstöße aufzudecken und zu ahnden.

Eine Reaktion:
Gütersloh zahlt die Zeche mit Lockdown

Ganz Gütersloh zahlt die Zeche für jahrelange ausbeuterische Unternehmenspraxis „Das Gebaren der Firma Tönnies verhöhnt die Eindämmungsbemühungen der letzten Monate. Die Menschen eines ganzen Kreises müssen nun die Zeche für die rücksichtslose Personalpolitik eines ausbeuterischen Konzerns zahlen. Tönnies muss zur Rechenschaft gezogen werden und hat für den gesamten Schaden zu haften. Alle Beschäftigten sind bezahlt freizustellen. Erst wenn der Infektionsschutz gewährleistet ist, darf dieses Werk wieder öffnen“, erklärt Jutta Krellmann, Sprecherin der Fraktion DIE LINKE für Mitbestimmung und Arbeit, zum Lockdown im Kreis Gütersloh infolge des Corona-Ausbruchs beim Fleischkonzern Tönnies. 

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