Verstehen und Verständnis

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Vorbemerkungen:
Ein verwandtes Wortpaar, das zum Nachdenken auffordert. Verstehen ist eine kognitive Leistung unseres Gehirns, die erforderlich ist, um zum Beispiel die Sachlichkeit, Notwendigkeit und Logik einer Argumentation, eines Plans oder einer Entscheidung nachvollziehen zu können, Verständnis hingegen hat mehr mit dem jedem Menschen innewohnenden Empfinden für Richtigkeit, Moralität oder Gerechtigkeit zu tun.
Wir werden in nächster Zeit an dieser Stelle Beispiele aufgreifen, bei denen die Spannweite dieser beiden doch so verwandten Begriffe verdeutlicht werden soll. Vielleicht ist es sogar eine Anregung für unsere Leser/innen, mit eigenen Wahrnehmungen diese Sparte zu bereichern.(C.S.)

Heute:

Containern bleibt verboten

In einem über viele Jahre andauernden Rechtsstreit hat das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, letztinstanzlich entschieden, dass das „Containern“, also das Durchsuchen der von den Supermärkten in Abfall-Containern entsorgten, aber noch verwendbaren Lebensmitteln verboten ist. Die beiden Klägerinnen wurden symbolisch zu je 8 Stunden Sozialarbeit, abzuleisten bei der örtlichen Tafel, bestraft – mit der damit verbundenen Androhung, im Wiederholungsfall eine Geldstrafe hinnehmen zu müssen.

Natürlich ist zu verstehen, dass die Richter bei ihrer Entscheidungsfindung auf der Grundlage des Art. 14 des Grundgesetzes (Schutz des Eigentums) juristisch auf der sicheren Seite waren (s. Az. 2 BvR 1985/19 u.a.), da sie das Eigentumsgrundrecht höher bewerteten als die Rettung von verwertbaren Lebensmitteln. 

Mit dem Verständnis für diese Entscheidung tut man sich dennoch schwer. Es ist eine Binsenweisheit: In einem reichen Land wie die Bundesrepublik Deutschland, wo der Wohlstand im globalen Vergleich größer ist, werden besonders viele Nahrungsmittel weggeworfen. Unfassbar: Eine unvorstellbare Menge von 11 Mio. Tonnen pro Jahr (in Kilogramm: 11.000.000.000 kg) landet bei uns jährlich im Müll! Ein bildlicher Vergleich scheint noch besser, sich diese diese Menge vorzustellen: Alle Kalk-Sandstein-Blöcke der monumentalen Cheops-Pyramide mit deren Grundfläche von 230 m * 230 m und einer Höhe von 139 m wiegen ca. 6,4 Mio. Tonnen, In der Annahme, dass die Steine und die Lebensmittel das gleiche Artgewicht hätten, müsste man also fast 2 dieser Pyramiden mit der jährlichen Masse der jährlich weggeworfenen Lebensmittel aufschichten, um das äquivalente Gewicht darzustellen. Im Volumenvergleich (das Artgewicht der Steine ist wesentlich höher als das von Lebensmitteln) käme man hingegen auf mindestens fünf dieser Pyramiden. 

Dabei gibt es in unserem Land viele Menschen, deren Existenz trotzdem nur mit den Angeboten der ehrenamtlich betriebenen Tafeln gesichert wird. Wäre das nicht ein Grund, den Wertekanon anders zu gewichten? Könnte man nicht per Definition rechtlich verankern, dass Abfall (und um den handelt es sich doch aus Sicht der Unternehmungen) den Schutz des Eigentumsrechts verwirkt hat?

Oder noch besser: Bei unseren Nachbarn in Frankreich, die offensichtlich einen kultivierteren Umgang mit Lebensmitteln pflegen, besteht die Pflicht, dass Waren mit Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) den Tafeln usw. zur Verfügung gestellt werden müssen. Darüber hinaus sollte allgemein bekannt sein, das auch nach Ablauf des MHD die Waren nicht automatisch ungenießbar werden. 

Um die unappetitliche und menschenunwürdige Wühlerei in den Abfallgefäßen zu unterbinden, sollte es doch möglich sein, die Einkaufsmärkte zu verpflichten, die Kisten mit den aussortierten Waren den Tafeln zur Abholung an die Rampe zu stellen – statt ihre Inhalte in die Container zu bugsieren. 

Es ist also dringend geboten, dass die hier politisch Verantwortlichen mit einer gesetzlichen Regelung die Gerichte entlasten. Satz 2 des Art. 14 GG: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, gibt ihnen dafür genügend Spielraum. Statt Prozesse durch alle Instanzen mit einem unglaublichen Kostenaufwand betreiben zu müssen, dabei Menschen, die im Abfall der Reichen nach Genießbarem suchen und dabei riskieren, mit einem lebenslangen „Diebes-Makel“ behaftet zu werden, gibt es unendlich viele Aufgaben für die Justiz, auf anderen Gebieten wirkungsvoller dem „Volkswohl“ gerechter werden zu können.

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