Advent in Coronazeiten ( 17 )

Zum Gedenken an Amadeu Antonio

o. T., Öl/Leinwand, 80 x 80 cm; Karin N.

Von Anetta Kahane (Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung)

In einer düsteren und kalten Novembernacht im Jahr 1990 zogen etwa 50 Nazis, damals Skinheads genannt, los, um Krawall zu machen. Sie waren auf der Jagd nach “Ausländern”. Sie marodierten durch die Stadt Eberswalde. Alle, sogar die Polizei, wussten Bescheid, dass dies wieder eine der Nächte sein würde, in der man besser auf der Hut ist. Doch niemand kam auf die Idee, die Angolaner und andere Vertragsarbeiter zu warnen. Dabei wäre das leicht machbar gewesen, denn sie lebten gemeinsam in einem Wohnheim.

Hätte Amadeu Antonio gewusst, dass der rechtsextreme Mob in dieser Nacht unterwegs war, der lauthals Naziparolen grölte, wäre er an diesem Abend niemals ausgegangen. Amadeu war ohnehin ein eher zurückhaltender Mensch. Er war in Angola aufgewachsen und als ältester von 12 Geschwistern hatte er ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Niemals hätte er sich in Gefahr begeben, schon gar nicht jetzt, kurz vor der Geburt seines ersten Kindes.

Heute wissen wir, was im Folgenden geschah. Er und einige seiner Freunde kamen aus einer Kneipe. Sie hatten inzwischen gehört, dass die Nazis sie bedrohen würden. Deshalb liefen sie weg. Doch die Horde holte sie ein, umzingelte sie und erwischte Amadeu Antonio. Sie schlugen ihn mit Latten und Fäusten und sprangen auf seinen Kopf. Er kam ins Krankenhaus, wo er am 6. Dezember starb, ohne sein Bewusstsein wiedererlangt zu haben.

Die Einheitsfeierlichkeiten waren gerade wenige Wochen her, als das geschah. Polizei und Justiz, ja die gesamte Verwaltung, einschließlich der Schulen befanden sich im Niemandsland zwischen DDR und der neuen Bundesrepublik. Es war eine Zeit der Regellosigkeit. Und das gab denen großen Raum, die am lautesten brüllten. Die Werte aus der vergangen DDR wie Völkerfreundschaft und internationale Solidarität trugen die Stimmen nicht, denn sie waren in Wahrheit nie wirklich verinnerlicht worden. Im Gegenteil, Rassismus und Antisemitismus lebten nach dem Krieg hier als Muster fort, denn niemand führte eine echte Auseinanderssetzung darüber. Antifaschismus war ein Beschluss, nicht ein Ergebnis einer echten Debatte.

Deshalb gab es damals nur sehr wenige Menschen, denen das Schicksal von Amadeu Antonio wichtig war. Einigen gelang es öffentliche Aufmerksamkeit für den Mord herzustellen. Doch die Stadt wehrte sich. Von Verleugnung bis Bedrohung gingen die Reaktionen der Menschen in Eberswalde. Und die Nazis zogen weiter durch die Stadt. Erst zwei Jahre später kam es zu einem Prozess mit lächerlichen Urteilen. Die neue Polizeipräsidentin leitete daraufhin eine Untersuchung ein, in der festgestellt werden sollte, weshalb die Polizei, die vor Ort war, Amadeu nicht geholfen hat.

30 Jahre ist das jetzt her. 30 Jahre um die Stimmung in Eberwalde zu verändern. Viele Menschen haben dabei geholfen: Kindergärtner*innen, Lehrer*innen, Vertrer*innen der Hochschule, die Punks, die den Schutz der Schwarzen Kinder garantierten, Vertreter*innen der Stadt, der Kirche, der Gewerkschaft, um nur einige zu nennen. Es wurden Vereine gegründet, wie der Afrikanische Kulturverein Palanca, die Bürgerstiftung Barnim Uckermark, ein Zentrum für demokratische Kultur, der Verein “Exil”, der sich dem Erhalt des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers widmete und Konzerte organisierte. Nach und nach geschah das. Schritt für Schritt. Viele dieser Schritte unterstützte die Amadeu Antonio Stiftung – und tut es bis heute. Noch immer gibt es in Eberswalde Rassismus, es ist noch viel zu tun, und dennoch: Heute ist die Stadt verändert. Sie ist offener, sie stellt sich der Erinnerung, sie hat ihr Bürgerzentrum nach Amadeu Antonio benannt.

Im Jahr 1998 gründeten wir die Amadeu Antonio Stiftung. Vorher waren wir über Jahre in vielen Bildungsprojekten dort engagiert. Deswegen besuchten wir Amadeu Antonios Witwe und fragten sie, ob wir die Stiftung nach ihm benennen dürfen. Sie freute sich sehr darüber. Ihm zu Ehren, seiner gedenkend und als Ausdruck unserer Solidarität mit allen Opfern von Rassimus und Antisemitismus arbeiten wir weiter. Möglich ist das dank der Unterstützung von zahlreichen Spender*innen. Am 30. Todestag von Amadeu Antonio werden wir einen Kranz niederlegen. Genau an der Stelle, an dem die Nazis ihn zu Tode geprügelt haben. An ihn zu erinnern ist unser Auftrag.

Dieser Beitrag ist erstmals im Dezember-Newsletter der Amadeu Antonio Stiftung erschienen. Wir danken für die Zustimmung zum Nachdruck.

 

Die Idee zu „Advent in Coronazeiten”
Die Pandemie hat uns immer noch im Griff… .
Wegen Corona fallen nicht nur sämtliche größeren Kulturereignisse aus, auch die vielfältigen Aktivitäten der örtlichen Vereine und Gruppen sind zum Erliegen gekommen und können praktisch durch nichts ersetzt werden. Aber mit Hilfe des Netzes können zumindest weitere solidarische Signale an die Menschen um uns herum versendet werden. MIT wird in der bevorstehenden Advents- und Weihnachtszeit  auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, an dieser Stelle eine zusätzliche Plattform zum Info-Austausch zu bieten. Also: Wer Lust und Zeit hat, darf sich gerne beteiligen.
Es ist mit Sicherheit kein adäquater Ersatz für das soziale Miteinander,  für den Gedankenaustausch und das gemütliche Beisammensein. Aber sicher ist auch: Wenn wir durchhalten wollen, geht das viel besser gemeinsam. (K.N.)

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