Auf eine Tasse Kaffee…

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Willi Tölch

Vorbemerkungen
Willi Tölch – Jahrgang 1950 – ist ein politisches Urgestein im Stadtbezirk Mengede. Er ist seit 46 Jahren eingetragenes Mitglied der SPD und hat in dieser Zeit – vor allem im Stadtbezirk Mengede – eine Vielzahl von Aufgaben übernommen. So war er in der Zeit von 2014 bis zur letzten Kommunalwahl im vorigen Jahr Bezirksbürgermeister im Stadtbezirk Mengede. Seit November letzten Jahres ist er Ruheständler – zumindest was diese politische Aufgabe anbetrifft. Grund genug für MIT, sich mit ihm auf eine Tasse Kaffee zu treffen. Das Ergebnis sehen Sie hier:

Diejenigen sind ihm ans Herz gewachsen, die besonderer Unterstützung bedürfen

Willi Tölch, geboren in der Dortmunder Stadtmitte und dort aufgewachsen, zog 1964 mit seinen Eltern sowie mit seinen jüngeren Geschwistern – zwei Brüder und eine Schwester – nach Bodelschwingh.

Um die damalige finanzielle Situation der Familie Tölch zu beschreiben, bedarf es lediglich eines Beispiels: Taschengeld gab es für den Heranwachsenden von zu Hause nur sporadisch, allenfalls mal zu besonderen Anlässen. So musste er sich für außergewöhnliche Ausgaben wie z. B. einen Kinobesuch etwas dazu verdienen. Diese Möglichkeit bot sich ihm zum Glück als Kegeljunge auf der Kegelbahn der Gaststätte Wiemann in Bodelschwingh.
Nach der Gründung einer eigenen Familie lebte er zunächst zwei Jahre in Huckarde, zog aber dann wieder zurück in den Stadtbezirk Mengede, wo er dann vor 40 Jahren in Oestrich sein Zuhause gefunden hat.

Auch in seinem Beruf hat er sich durch eine gewisse Standorttreue ausgezeichnet. Er begann1964 mit einer Lehre zum Starkstromelektriker, einschließlich einer Fachausbildung unter Tage auf der Dortmunder Bergbau AG Zeche Hansa.
Ab 1967 war er beruflich tätig in der Elektrotechnik auf der Zentral-Kokerei-Hansa – bis zu deren Stilllegung – und anschließend auf der RAG Kokerei Kaiserstuhl III.
Durch seine regelmäßige berufliche Weiterbildung und Qualifizierung wurde er vom Land NRW nach dem Berggesetz  als persönlich verantwortliche Person im Bereich seiner beruflichen Tätigkeiten bestellt. Dies bedeutete auch, dass er nicht nur besondere Befugnisse erhielt, sondern auch für sein Handeln persönlich haftbar war.
In seinen letzten Berufsjahren war er als freigestellter Betriebsratsvorsitzender auf der Kokerei Kaiserstuhl-III als Interessenvertreter der Belegschaft tätig. Damit wurden das Betriebsverfassungsgesetz und die Sozialgesetzbücher zu weiteren Bausteinen in seinem Arbeitsalltag.

Die damalige Bergbaukrise fiel mit voller Wucht in den Beginn seiner beruflichen Tätigkeit. Um ihn herum gab es massenhafte Verluste von Arbeitsplätzen. Die Älteren noch lebenden Menschen werden sich gut an die Situation im Stadtbezirk Mengede erinnern, die durch die Schließung der Zechen A. v. Hansemann und Gustav entstand. Ähnlich sah es in anderen Vororten des Dortmunder Nordwestens aus. Vororte wie Mengede, Huckarde, Eving waren besonders betroffen und es blieb natürlich nicht ohne Einfluss auf das Gemeinwesen, wenn die Zechen als der größte Arbeit- und Impulsgeber am Ort ihren Betrieb einstellten.  

„Es waren damals diese einschneidenden Entwicklungen im Bergbau und in der Stahlindustrie, die mich bewogen haben, 1964 in die damalige Industrie-Gewerkschaft Bergbau einzutreten. Der bin ich bis heute treu geblieben, auch in der Weise, dass ich meine jetzige Funktion als Vorsitzender einer Angestelltenortsgruppe Kokerei Kaiserstuhl III in der heutigen IGBC seit über 20 Jahren ausübe“, erinnert WT sich.

Für ihn waren die 68er Jahre auch die Zeit des politischen Erwachens. Er war in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem eigentlich viel politisiert wurde. Der Vater war bekennender Sozialdemokrat, aber die Aktivitäten des Sohnes beschränkten sich anfangs allenfalls auf die ideelle Unterstützung der IG Bergbau. Politisch war die Lage für den heranwachsenden Willi eher uninteressant. Die CDU schien unschlagbar zu sein, denn gegen Konrad Adenauer war nach vorherrschender Meinung nicht anzukommen.
Die Lage änderte sich jedoch durch die beiden folgenden Ereignisse: Zunächst wurde der langjährige Bundeskanzler Konrad Adenauer von seiner Partei in den Ruhestand versetzt. Dafür kam Ludwig Erhard – unbedarft und unglücklich agierend, wie man heute weiß.
Etwa zeitgleich kam für die SPD mit Willy Brandt erstmals ein Politiker auf die politische Bühne, der im Gegensatz zu dem blassen, aber eher langweiligen Erich Ollenhauer die jungen Leute begeistern konnte. Zudem konnte der durch seine Arbeit als Regierender Bürgermeister in Berlin vielfältige Kontakte knüpfen und internationale Beziehungen aufbauen. Nicht zuletzt schien er eine politische Vision zu haben.
„Mehr Demokratie wagen“, war der Slogan, der die SPD plötzlich aus ihrem Schmollwinkel hervorholte. Das war vor allem auch ein Ziel, das viele junge Leute damals begeistert und animiert hat, sich mit der SPD näher zu befassen.

An diese Phase erinnert W. Tölch sich auch heute noch bestens – so z. B. als Willy Brandt zusammen mit Günter Grass in der Kleinen Westfalenhalle auftrat. Die Begegnungen und vor allem die Diskussionen in dieser Zeit haben ihn geprägt und mit dazu beigetragen, dass er nach dem Motto „Einmal SPD, immer SPD“ seiner Partei bis heute die Treue gehalten hat.
Die damaligen Proteste der Studierenden in Berlin und im ganzen Land interessierten ihn weniger und den damals von vielen studentischen Aktivisten favorisierten Zusammenschluss von Studenten und Arbeitern hielt er für reichlich unrealistisch.

Was auch in guter Erinnerung aus dieser Zeit bleibt: Ein immerwährendes Bohren dicker Bretter und eine Vielzahl von Aufgaben, die er im Stadtbezirk Mengede und selbstverständlich ehrenamtlich ausgeübt hat. Um nur einige zu nennen:

  • Alle Funktionen innerhalb der Struktur des Ortsvereins Oestrich.
  • Alle Funktionen innerhalb der Struktur des SPD-Stadtbezirks Mengede.
  • 40 Jahre Vorsitzender eine Siedlergemeinschaft im Stadtbezirk Mengede
  • Ehrenamtlicher Versichertenberater der Deutschen Rentenversicherung u. a. auch im Stadtbezirk Mengede. 

Die von der Öffentlichkeit in Mengede am stärksten wahrgenommene Aufgabe war die des Bezirksbürgermeisters des Stadtbezirks Mengede – über sechs Jahre von 2014 – 2020. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh, ein Fazit aus dieser Zeit zu ziehen, aber die Frage, was ihm am meisten am Amt und was ihm am wenigsten gefallen hat, die wollte er doch im Rahmen dieses Gesprächs beantworten.

Als positiv wird ihm die im Laufe seiner Amtszeit gewachsene vertrauensvolle und kooperative Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien in der BV in Erinnerung bleiben. Auf der negativen Seite gibt es – nicht nur für ihn – ein grundsätzliches Probleme: „Einmal sind es die zeitlichen Abläufe, z. B. von der Beschlussfassung in der BV bis zu deren Umsetzung. Sie dauern zu lange, sind in der Regel kompliziert und häufig nicht nachvollziehbar, demgemäß auch nicht hinnehmbar gewesen. Möglicherweise liegt das an den Verwaltungsstrukturen. Die erscheinen mir als sehr ausbaufähig – um das vorsichtig zu formulieren. Ziel des Verwaltungshandelns sollte eigentlich sein, die Arbeit der Ehrenamtlichen in der Kommunalpolitik zu erleichtern.
Gelegentlich habe ich das Gefühl gehabt, dass einige in der Verwaltung diesen Aspekt nicht im Blick haben und eher denken: Das Leben könnte so schön sein, wenn es die Bezirksvertretungen und die Bürger nicht gäbe.“

Zurück zu seiner Partei, der er – wie bereits erwähnt – seit inzwischen 46 Jahren angehört. Auch wenn WT sich vorwiegend im kommunalpolitischen Raum bewegt hat, ist ihm gleichwohl die Entwicklung der SPD als Partei im Bund und in den Ländern nicht egal gewesen. Wenn die Partei heute Zustimmungswerte bejubelt, die im Bund derzeit knapp über 20 % liegen, stellt er sich die Frage: Was hat die SPD in den letzten Jahren falsch gemacht und was müsste sie tun, um aus diesem Umfragetief wieder herauszukommen?

Falsch war nach seiner Überzeugung die Unfähigkeit der SPD, sich auf ein grundsätzliches zukunftsweisendes Programm mit klaren Schwerpunkten und Themen aus der Gesellschaft zu verständigen – und dabei auch Fehler der Vergangenheit als solche zu benennen. Diese ideologischen Unklarheiten in der Partei und in deren Umfeld hat zum Desinteresse an der SPD geführt. Aus seiner Sicht hätte sie eine Chance gehört zu werden, „wenn sie sich nicht nur in Programmen, sondern auch im Handeln auf die SPD-Werte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zurückbesinnt. Das heißt im Klartext: Im Mittelpunkt steht der Mensch und nicht Stärke von irgendwelchen Lobbyisten“. 

 „Auf jeden Fall war es ein Fehler, davon auszugehen, dass die Kräfte des Marktes es richten würden und der Staat sich zeitgleich aus ökonomischen Entscheidungen möglichst zurückzuhalten habe. Das Ergebnis sehen wir heute: öffentliche Güter wie die Gesundheit der Bevölkerung, die Bildung, die öffentliche Infrastruktur können nicht dem Marktgeschehen überlassen werden.“ so die Überzeugung von W. Tölch.
Die auch noch heute vorherrschende Meinung, jeder erfolgreiche Zeitgenosse habe sich diesen Erfolg redlich verdient und deswegen sei es umgekehrt ebenso richtig, dass jede „arme Socke“ an seiner Situation selber schuld sei – der kann sich WT auf keinen Fall anschließen. Auch deswegen kümmert er sich auch besonders um die Opfer der ökonomischen Entwicklungen im Stadtbezirk und auch anderswo, um die Abgehängten und Zurückgebliebenen.
In dieser Grundeinstellung fühlt W. Tölch sich auch mit der ehemaligen Fraktionssprecherin der SPD in der BV Mengede – Gudrun Feldmann – einig. Immer wenn es um die  Unterstützung der Schwachen in der Gesellschaft ging und er vielleicht etwas zögerlich gewesen sei, habe sie ihn ermutigt:  “Willi, das ziehen wir jetzt durch…“ Das war dann auch so gemeint wie gesagt – und sie war jederzeit eine verlässliche BV-Mitstreiterin.

Aus der „einen“ Tasse Kaffee sind bildlich mehrere geworden. Das ist nicht ungewöhnlich, hat auch damit zu tun, dass es eine längere Zeit bedarf, um die Dinge anzusprechen, von denen man meint, sie seien für die Leserinnen interessant.
Auf die schwierige Frage an W.T. , was er seinen Enkelkindern mit auf den Weg für die nächsten 30 Jahre – das wäre bis zum Jahr 2051 – geben möchte, entwickelt er stichwortartig die folgende Vision:
„Erziehung des Konsumenten können Erderwärmung, Epidemien, Artensterben und Naturzerstörung nicht aufhalten. Stattdessen müssen unterschiedliche Sozialgruppen für gesellschaftliche Bündnisse gewonnen werden, die ein gemeinsames Interesse entwickeln, z. B an öffentlicher Daseinsfürsorge, an nachhaltigen Infrastrukturen, an freier für jeden zugänglichen Bildung – um drei Beispiele zu nennen. Dafür ist es erforderlich, Demokratie nicht als Hindernis, sondern als Chance des notwendigen ökologischen Umbaus zu begreifen.
Wenn der Streit um die Lebensführung auf diese Weise einen legitimen Rahmen bekommt, wird mehr zur Abwendung von Klimakrise und ökologische Katastrophen getan, als selbstgewisse Erziehungsprogramme je ausrichten können“.

Eine abschließende Bemerkung zum vorstehenden Gespräch mag das Bild von WT abrunden. Es liegt nahe, dass zur Vorbereitung des Interview-Formats „Auf eine Tasse Kaffee“ der/die ein oder andere befragt wird, ob er/sie eine persönliche Einschätzung beitragen möchte. So geschehen auch für dieses Gespräch. Gefragt haben wir Sandra Spitzner, die Vorsitzende des Stadtbezirks der Mengeder SPD. Hier ihre Antwort:
Kennengelernt haben wir uns 2013 an einem Wahlkampfstand der SPD Oestrich. Wir unterhielten uns zur anstehenden Wahl und auch, dass ich gerne in die SPD eintreten würde, das bis dahin aber immer daran gescheitert war, dass kein Mitgliedsformular zur Hand war. Also nahm Willi Tölch das persönlich in die Hand und lud meine Tochter und mich ein, uns den OV mal anzuschauen. Das taten wir direkt bei einer der nächsten Gelegenheiten und wurden dabei so herzlich aufgenommen, dass wir den Eintritt in die SPD seither nie bereut haben.
Mit viel Geduld steht er bis heute für alle Rückfragen zur Verfügung und mit niemandem sonst kann man so lustvoll in der Sache streiten, wie mit unserem ehemaligen Bezirksbürgermeister. Dabei kann er auch mal grantig werden. Doch immer kann man sich darauf verlassen, dass er bedingungslos auf der Seite derjenigen steht, die unsere Hilfe besonders brauchen.  Eine Herzensangelegenheit ist ihm dabei die Unterstützung der älteren Mitbürger*innen. Bei allen Fragen rund um Rentenversicherung, Grundsicherung etc. ist er stets der belesenste Ratgeber. Ich kenne kaum jemanden in der ehrenamtlichen Politik, der sich mit so viel Herzblut so engagiert hat wie er“.  

Dieser Aussage von Sandra Spitzner ist nichts weiter hinzuzufügen als ein herzliches 

Glück Auf!
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MENGEDE:InTakt! hat Willi Tölch gebeten, den (aktualisierten) Fragebogen von Marcel Proust* auszufüllen. Hier ist das Ergebnis:                                                                                                                                                                                             
Ihr Motto/Leitspruch?
Matthäus 16:26 –„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“
Ihr Hauptcharakterzug?
Der Willen zu ganzeinheitlichen Betrachtungen
Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen?
Emotionen in Klänge mittels eines Instrumentes interpretieren
Was verabscheuen Sie am meisten?
Lügen und Unehrlichkeit
Ihr Interesse an Politik?
Gestaltung eines sozialen Miteinander und zwar in allen Facetten des Lebens
Glauben Sie Gott sei eine Erfindung des Menschen?
Ja
Welche Reform/Erfindung bewundern Sie am meisten?
Buchdruckerkunst / Technik aller Art 
Mit wem möchten Sie an einer Hotelbar ein Glas Wein trinken und dabei worüber reden?
Niemand Bestimmtes, denn ich mag keine Gespräche unter Einnahme von Alkohol, die ggfls.
emotional geführt werden und stressig werden könnten….

3 Dinge, die Sie mit auf eine einsame Insel nehmen würden?
Kommt auf die Insel an…
Sommer oder Winter?
Alle Jahreszeiten, denn alle Jahreszeiten haben ihre emphatischen Besonderheiten, die – wenn man es für sich zulässt –
besondere Erlebnisse bringen wie u. a. auch die Gedanken fließen lassen…
Ihre Hobbies?
Lesen, Technik
Film oder Buch?
Beides gleichermaßen
Welchen Film haben Sie zuletzt gesehen?
Songbird (Regisseur Adam Mason). Es ist zwar ein B-Film,  könnte jedoch in der heutigen Pandemiezeit wieder interessant sein
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Ruhrgebietsküche
Ihre Lieblingsmusik?
Situationsbedingte Musik, von Klassik bis zur aktuellen Unterhaltungsmusik
Ihre Lieblingsblume?
Jede Blüte in ihrem individuellen Erscheinen
Ihr Lieblingstier?
Adler
Essen & Trinken hält Leib und Seele zusammen – auch bei Ihnen? Wenn ja, was ist es?
Für mich ist das Essen keine reine Energiezufuhr, sondern ein reines Erleben in seiner geschmacklichen Vielfalt
 * Der Fragebogen von Marcel Proust
Was denken und fühlen bekannte Zeitgenossen? Diese Fragen faszinierten die Menschen schon immer. Vorbild für diese Fragen ist der wohl bekannteste Fragebogen, der den Namen des französischen Schriftstellers Marcel Proust (1871-1922) trägt. Dieser hat ihn aber nicht entworfen, sondern nur ausgefüllt, das heißt, genau genommen sogar zweimal: Einmal als 13-jähriger auf einer Geburtstagsparty. Dann im Alter von etwa 20 Jahren einen ähnlichen Fragebogen, dem er selber den Titel «Marcel Proust par lui-même» («Marcel Proust über sich selbst») gab. Berühmt wurden die Fragen durch Publikationen z. B. in der FAZ. MENGEDE:InTakt! hat den Fragebogen etwas aktualisiert.
Fotos: Archiv MIT; zur Vergrößerung der Fotos diese bitte anklicken!

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