Auf eine Tasse Kaffee…

Heute mit:

… dem bekannten Krimiautor Max Annas

Mario Lars Bücher

Vorbemerkungen:
Normalerweise werden in diesem Format nur Persönlichkeiten aus Mengede vorgestellt. Passend zur Frankfurter Buchmesse gibt es diesmal allerdings ein Interview mit dem Autor Max Annas über sein neu erschienenes Buch. Diesen Sommer hat er seinen vielschichtigen, spannenden neuen Roman „Der Hochsitz“ bei Rowohlt herausgebracht.  Max Annas lebt als Schriftsteller in Berlin. Er hat vor 2014 etwa ein Dutzend dokumentarischer Bücher veröffentlicht und seither sieben Romane, die in Südafrika, der DDR, der BRD, dem sogenannt wiedervereinigten Deutschland und in einem Deutschland der Zukunft spielen. Für einige der Romane hat er den Deutschen Krimipreis erhalten.
I
n einem schriftlich geführten Interview gibt er einen interessanten Einblick in die Entstehungshintergründe seiner Neuerscheinung und verrät sein persönliches Erfolgskonzept für (s)eine Schriftstellertätigkeit.
Das Interview führte Gabriele Goßmann  – den LeserInnen von MIT bestens bekannt als Literaturexpertin. Vor einiger Zeit gehörte sie auch zum Team der „Buchhandlung am Amtshaus“ und absolvierte dort eine Ausbildung als Buchhändlerin. Vorher hat sie studiert und das Studium mit einem Masterabschluss in Germanistik und Geschichte erfolgreich beendet.
Derzeit arbeitet sie in einem Versandantiquariat und beschäftigt sich daher mit alten Büchern anstatt mit neuen. Vor etwa zwei Jahren ist ihr lesenswertes erstes Buch erschienen, das wir auf MIT am 1.1.2020 ausführlich besprochen haben. Das Erstlingswerk Biblio Berry hat sie unter dem Pseudonym Valentina Wunderlich veröffentlicht. (K.N.)

Ein einziger Ratschlag: Schreiben, schreiben, schreiben…

„Na, man denkt doch, hier passiert nichts. Das ist das Ende der Welt.“ (E-Book, S. 444) Das behauptet einer Ihrer Charaktere über den Ort der Handlung – ein kleines Dorf in der Eifel. Dass es garantiert nicht so ist, zeigt sich schon gegen Anfang der Geschichte. Im Gegenteil, es passiert eine Menge in der vermeintlichen Idylle. Möchten Sie uns einen kleinen Einblick in die Thematik Ihrer Neuerscheinung geben? Worum geht es? 

An der Oberfläche ist DER HOCHSITZ ein Buch, das auf die Eifel im Jahr 1978 blickt. Zwei 11-jährige Mädchen erleben Dinge, die sich außerhalb dessen abspielen, was sie zu verstehen in der Lage sind – Politisches und Zwischenmenschliches aller Art, vom Schmuggel bis zur RAF, von Sex bis zum Mord. Sie haben Osterferien, viel Zeit und bauen sich aus dem, was sie sehen, eigene Bilder. Unterhalb dessen geht es um die Frage, wie wir uns erinnern, an was wir uns erinnern, und wie wir unsere eigene Vergangenheit erzählen, in diesem Fall also die westdeutsche. Wie beziehen wir uns auf den Alltag in der BRD? Das ist durchaus auch ein Kommentar auf nostalgistisches und konservatives Reden sowie die wenig fruchtbare Haltung, alles möge so bleiben, wie es ist.

Der Spannungsbogen baut sich konsequent auf, indem verschiedene Erzählstränge parallel laufen und in einem Knotenpunkt gebündelt werden: dem Hochsitz. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Krimi über einen Hochsitz zu schreiben? Hat dieser – abgesehen von der Funktion als Knotenpunkt – auch eine metaphorische Bedeutung? 

Meine Partnerin ist genau dort, wo die meisten Kapitel von DER HOCHSITZ spielen, aufgewachsen. Die Kapitel, die sich mit den Fußballsammelbildern zur WM in Argentinien beschäftigen, und die Episode mit dem geklauten RAF-Fahndungsplakat sind dokumentarisch. Das war der Auslöser für den Roman. Ich brauchte neben den Mädchen als emotionales Zentrum des Buches noch einen geografischen Fixpunkt, der mit ihnen zu tun hat. Und dieser Ort musste schon die Schlauheit der Protagonistinnen repräsentieren. Eine Höhle hätte es da nicht getan. Die Höhle wäre was für Jungs gewesen, und sie hätte nicht den weiten Blick geboten, den die Mädchen ersehnen. Darin steckt Neugier, Wissenwollen und natürlich auch Aufbruch.

Viele Autoren möchten sich in ihren Werken durch ihren Sprachstil profilieren. Sie hingegen schreiben in Ihrem neuen Krimi u.a. aus der Sicht eines elfjährigen Bauernmädchens aus der Eifel. Dies erfordert sicher Mut, schafft aber zugleich ein hohes Maß an Authentizität der Charaktere. Hat sich Ihr prägnanter Sprachstil erst im Laufe Ihrer Schriftstellerkarriere entwickelt oder hatten Sie von Anfang an eine klare Vorstellung davon, wie Sie schreiben wollen? 

Das Schreiben ist in steter Entwicklung. Und Schreiben ist das Einzige, was ich je gelernt habe. Reduktion also auch eine Konsequenz aus vielen, vielen Versuchen in vielen, vielen Gattungen. Das Einlassen auf Figuren wiederum – also im Fall von DER HOCHSITZ auf zwei 11-jährige Mädchen, ist eine Kernvoraussetzung der Fiktion. Dabei ist es gar nicht so vermessen, dass ich versuche, den Blick dieser beiden jungen Menschen im Schreiben auszuloten. Immerhin war ich im Jahr 1978 ähnlich alt, oder jung, wie die beiden Protagonistinnen. Da beginnen die Gemeinsamkeiten. Ich kann das auch konfrontativer formulieren: Die Figur eines mir gleichaltrigen Mannes kann Erfahrungen gemacht haben, die ich nicht oder nur mit viel mehr Mühe in der Lage bin zu beschreiben. Sei es, da er in einer ganz anderen Weltgegend verortet ist oder in einer anderen Zeit. Oder gar beides.

Ihr Roman spiegelt originalgetreu das Lokalkolorit der Eifel wider. Sind Sie selbst auf dem Land aufgewachsen oder haben Sie einfach nur gut recherchiert?

Ich bin sehr vorsichtig, wenn es um eine solche Einschätzung geht. Dass etwas originalgetreu sei, hört sich sehr schön an, aber letztlich resultiert das aus der Wahrnehmung einer Anzahl an Ideen und Bildern. Dokumentarismus ist schließlich nicht mein Ding. Ich halte sämtliche Figuren im Schwitzkasten, also einer Situation, die Alltag verneint um des Dramas willen. Wenn dabei allerdings der Eindruck entsteht, dass ich mich auf Gegend und Zeit eingelassen habe, dann freut mich das sehr.

In Ihren Krimis behandeln Sie oftmals historische Themen, insbesondere die Geschichte der DDR. Wie arbeiten Sie die historischen Quellen für Ihre fiktiven Erzählungen auf?  

Ich bleibe schon nahe an eigenen Erfahrungen. Die Bücher, gleich ob sie in Südafrika spielen oder in der DDR, haben mit Bildern zu tun, die ich gesehen und lange in mir getragen habe. Die DDR zum Beispiel habe ich in den letzten Jahren ihrer Existenz so oft wie möglich besucht. Das ist – wie in anderen Fällen auch – eigentlich immer der Start für etwas, eigene Bilder. Darauf aufgebaut beginnt ein Schreibprojekt dann zu leben. Aber natürlich ist Recherche ein wichtiger Bestandteil des Ganzen. Die Polizeiarbeit in der DDR zum Beispiel musste ich in Gesprächen und durch die Lektüre einiger Bücherberge erst einmal für mich umreißen, bevor ich zu schreiben angefangen habe. Immer gibt es Leute, die für mich nachlesen, was ich produziert habe, im Falle der DDR zum Beispiel solche, die dort aufgewachsen sind, und die mich auf Fehler hinweisen, die tatsächlich nur indigenes Wissen bemerkt.

Sie haben sich neben der Veröffentlichung von Sachbüchern als Krimi-Autor einen Namen gemacht, wenn man das so sagen darf. Können Sie sich vorstellen, auch mal andere Genres zu bedienen, z.B. Science-Fiction, Fantasy oder Lyrik? 

Es ist schon ausgeschlossen, dass sich einst Elfen und Trolle in meinen Romanen bewegen werden. Das heißt aber nicht, dass Entwicklung nicht stattfinden darf und soll. Da denke ich eher von Buch zu Buch. Genretreue – im Sinn von Verbeugungen vor Konventionen und Mustern – zeige ich ja auch heute nicht. Doch generell fühle ich mich gut aufgehoben im Krimiregal. Und einen Gedichtband (von mir) will ich niemandem zumuten.

Gab es Momente in Ihrer Laufbahn als Redakteur und Schriftsteller, in denen Sie an der Buchbranche gezweifelt oder Rückschläge erlebt haben? Falls ja – warum? Und gab es etwas, das Sie daraus gelernt haben? Was würden Sie Nachwuchsautoren raten, wie man sich auf dem Literaturmarkt am besten etablieren kann? 

Ich habe Schreiben immer als nicht endenden Versuch betrachtet, da stecken Zweifel (am selbst und dem Wirtschaftszweig) schon drin. Aber weil es eben das ist, ein ständiger und nicht endender Versuch, gibt es nichts anderes, als am nächsten Morgen einfach weiterzumachen. Die Sache mit dem Etablieren ist dann auch nichts, was ich mit einem Ratschlag versehen kann. In den allermeisten Fällen, auch bei mir, ist eine gehörige Portion Glück dabei, wenn Dinge klappen. Ein gutes Buch UND Glück. Der einzige Ratschlag geht vielleicht so: Schreiben, schreiben, schreiben.

Allgemeine Infos zur Neuerscheinung:
Titel: Der Hochsitz: Roman
Autor: Max Annas
Verlag: Rowohlt, Seitenzahl: 272, ISBN-13: 978-3498002084 (gebundene Ausgabe)
Erscheinungsdatum: 20. Juli 2021, Preis: 22,00 €.

 

 

 

 

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