Buchempfehlung: Die Nacht von Sevilla

Die Nacht von Sevilla

Ein neues Fußballbuch von Stephan Klemm

 Es gibt Fußballspiele, an die sich selbst am Fußball weniger Interessierte lange erinnern können. Weil es sich um Spiele handelt, die durch ihre besondere Dramatik, Brisanz oder spektakulären Tore noch Jahre und sogar Jahrzehnte später für Erinnerungen und Gesprächsstoff sorgen.
Beispiele dafür gibt es mehr als genug. Denken wir nur an den Siegtreffer von Helmut Rahn nach dem WM-Finale 1954 Deutschland – Ungarn, dem „Wunder von Bern“. Oder das legendäre „Wembley-Tor“, dem heute noch umstrittenen 3:2 Führungstreffer der Engländer beim WM-Endspiel England – Deutschland 1966. Selbstverständlich hat auch der Vereinsfußball etliches an legendären Spielen zu bieten, aber bleiben wir bei den Partien der deutschen Nationalmannschaft.    

Der 8. Juli 1982 – ein Fußballspiel für die Ewigkeit
Das neue Buch „Die Nacht von Sevilla“ von Stephan Klemm befasst sich mit einem der wohl spannendsten und aufregendsten Begegnungen in der Chronik der Fußballweltmeisterschaften. 1982 fand die WM in Spanien statt und Deutschland schloss unter Trainer Jupp Derwall das Turnier nach einer 1:3 Niederlage im Finale in Madrid gegen Italien als Vizeweltmeister ab. In der Erinnerung der meisten Fußballfans ist aber weniger das eher triste Endspiel, sondern das Halbfinale Deutschland – Frankreich am 8. Juli geblieben, das Deutschland nach einem Elfmeterschießen für sich entscheiden konnte. Dieses Halbfinale ist bis heute sicherlich eine der spannendsten Partien aller bisherigen Weltmeisterschaften gewesen. Und diejenigen, die es am TV oder vor knapp 40 Jahren sogar live im Stadion in Sevilla verfolgen konnten, werden bestätigen, dass es danach wohl kaum eine andere Partie gab, die derart von zahlreichen Wendungen, Überraschungen, Tragik, Trauer  und Glücksgefühlen geprägt war.   

Ein Blick in das Innere des Buchs

Nach einem 1:1 Remis nach regulärer Spielzeit, in welcher der aggressiv agierende deutsche Torwart Toni Schumacher den eingewechselten französischen Spieler Patrick Battiston in der 57. Minute schwer verletzte, ging Frankreich in der Verlängerung mit 3:1 in Führung. Der eingewechselte Karl-Heinz Rummenigge erzielte den Anschlusstreffer und Klaus Fischer sorgte mit einem akrobatischen Fallrückzieher nach Flanke von Pierre Littbarski für den Ausgleich in der zweiten Hälfte der Verlängerung. Dieser Ausgleichstreffer wurde später zum Tor des Jahres 1982 gewählt und ist auf den großen Videowänden im Deutschen Fußballmuseum seit Jahren als „Magischer Moment“ zu bewundern. Im anschließenden Elfmeterschießen, das die Entscheidung bringen musste, kam es zu einem Fehlschuss von Uli Stielike, wodurch Deutschland erneut in Rückstand geriet. Aber Toni Schumacher, von der Mehrheit der Stadionbesucher, nach seinem Foul an Battiston gnadenlos ausgepfiffen, bewies enorme Nervenstärke und parierte zwei Elfmeter der Franzosen. Horst Hrubesch verwandelte anschließend den dann alles entscheidenden Elfmeter zum Siegtor. Deutschland war damit für das WM-Finale qualifiziert. 

Ein Buch über mehr als „nur ein Fußballspiel“
Stephan Klemms neues Buch „Die Nacht von Sevilla – Ein deutsch-französisches Fußballdrama“ arbeitet dieses nervenaufreibende Spiel, in dem wirklich alle Facetten des Fußballs vorkamen, gründlich und für den Leser hochgradig spannend auf. Mit insgesamt 192 Seiten und zahlreichen, weitgehend noch unbekannten Fotos dokumentiert der Autor das Spiel selbst, aber auch seine Vor- und Nachgeschichte. Stephan Klemm hat für sein Buch ausführlich recherchiert und hat alle damaligen 13 deutschen Nationalspieler, die in Sevilla auf dem Rasen standen, sowie zahlreiche französische Spieler und andere Zeitzeugen interviewt. Denn dieses denkwürdige Halbfinale, mit dem für Frankreich enttäuschendem Ausgang, war eigentlich mehr als „nur“ ein Fußballspiel. Es ist ein nicht unbedeutendes Kapitel der deutsch-französischen Rivalität, die sich durch den Sieg Deutschlands temporär sogar wieder verschärft hatte. Toni Schumacher wurde nach diesem Halbfinalspiel, bedingt durch sein hartes Einsteigen gegen Patrick Battiston, in Frankreich für Jahre der neue Inbegriff des „hässlichen Deutschen“. Auf der anderen Seite wurde Klaus Fischer in Deutschland zum „König der Fallrückzieher-Tore“ ernannt. 

Das Buch führt den Leser von der WM-Vorbereitung der deutschen Nationalmannschaft am Schwarzwälder Schluchsee (von Journalisten wegen einiger trinkfreudiger Nationalspieler auch gerne „Schlucksee“ genannt), über die Gruppenphase und dem spektakulären Halbfinale gegen Frankreich als Schwerpunkt, bis zum verlorenen Finale gegen Italien. Dabei wird vor allem ein Blick hinter die Kulissen geworfen, es werden Themen behandelt wie:

Buchpräsentation im Fußballmuseum (v. l. n r.: Klaus Fischer, Pierre Littbarski, Museumsdirektor Manuel Neukirchner, Autor Stephan Klemm und Prof. Dr. Albrecht Sonntag)

  • War Klaus Fischers Fallrückzieher-Treffer einfach Glück oder war es eiskalte Berechnung?  
  • Wie denken z.B. der damals viel geschmähte aber auf der anderen Seite auch als „Elfmeterheld“ gefeierte Toni Schumacher heute über das Spiel? 
  • Welche Rolle spielte der in die Nationalmannschaft zurückgekehrte Paul Breitner? 
  • Stimmen die Gerüchte über lange durchzechte Pokernächte und zu lasche Einstellungen einzelner Spieler?
  • Hatte der angeschlagene Karl Heinz Rummenigge genug Fitness für das WM-Turnier? 
  • Hatte die unglückliche Niederlage Frankreichs Konsequenzen für das deutsch- französische Verhältnis?    

Buchpräsentation im Deutschen Fußballmuseum
Am Montag dieser Woche hat Stephan Klemm sein neues Buch im Fußballmuseum in Dortmund präsentiert und einige ausgewählte Passagen daraus vorgelesen. Museumsdirektor Manuel Neukirchner moderierte die Veranstaltung. Die damaligen Nationalspieler Klaus Fischer und Pierre Littbarski, die in der „Nacht von Sevilla“ entscheidende Rollen spielten, sowie der Soziologe Prof. Dr. Albrecht Sonntag, ein ausgewiesener Frankreich- und Fußballkenner steuerten ihre persönlichen Eindrücke und Kommentare bei. Eine sehr gelungene Veranstaltung, die bewiesen hat, dass auch die Erinnerungen an ein fast 40 Jahre vergangenes WM-Halbfinale noch immer frisch sind und noch lange Bestand haben werden. Durch Stephan Klemms Buch werden sie noch lebendiger. 

Von daher ist „Die Nacht von Sevilla“ eine klare Kaufempfehlung.   

Stephan Klemm: „Die Nacht von Sevilla“ – Ein deutsch-französisches Fußballdrama“
Verlag Eriks Buchregal. Gebundene Ausgabe: 192 Seiten, 24,90 €

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