Buchempfehlung: Freischwimmen

Mario Lars Bücher

 Caleb Azumah Nelson:  Freischwimmen

Von Karen Elias *

Caleb Azumah Nelsons Debütroman Freischwimmen beginnt an einem Abend in einem Londoner Pub. Sofort schafft der Text eine Nähe zum namenlosen Protagonisten, indem er ihn – und somit auch die LeserInnen – mit „Du“ anspricht. An dem besagten Abend trifft er zum ersten Mal die ebenso namenlos bleibende Frau, zu der er sofort eine tiefe Verbindung spürt, obwohl die beiden einander von ihrem Freund vorgestellt werden. Die sich entfaltende Liebesgeschichte ist aber nur der Aufhänger von Azumah Nelsons vielschichtigem Roman.

Freischwimmen erzählt auch vom Leben als junger, schwarzer Mann im vom Rassismus geprägten England. Rassistische Polizeikontrollen sind Teil seines Alltags, und seinen Nachbarn, FreundInnen und Familienmitgliedern droht stets noch größere Gewalt. Die daraus resultierende Angst des Protagonisten macht ein unbeschwertes Leben unmöglich und verkompliziert auch seine Beziehung zu der namenlosen Frau. Trotzdem finden die beiden Trost ineinander. Beide wissen, wie es ist, eins der wenigen schwarzen Kinder in einem Klassenraum voll mit weißen MitschülerInnen zu sein, sie beide wissen, wie viel Trost sowohl das eigene Kunstschaffen, als auch das von anderen spenden kann.
Die beiden teilen ihre Erfahrungen als schwarze Menschen in London und zeigen dies durch ihre Liebe zur renommierten Autorin Zadie Smith, besonders zu Smiths Roman NW, der sich ebenfalls um das Leben schwarzer Menschen in London dreht. Sie diskutieren über die afroamerikanischen Rapper Kendrick Lamar und Isaiah Rashad, deren Musik sie durch den Alltag begleitet.

Der Roman widmet dem Musikhören immer wieder lange Passagen, genauso wie der Betrachtung von Kunstwerken und der Analyse der Literatur, die den Protagonisten durch sein Leben begleitet. So wird eine reale, pulsierende Welt geschaffen, durchzogen von Farben und Klängen, die mich in ihren Bann zog. Das Buch wurde zu einer Art multimedialen Erfahrung, da ich die beschriebene Musik während des Lesens laufen ließ und somit im Gleichschritt mit dem Protagonisten durch London lief.
Azumah Nelson beschreibt Musik allerdings nicht nur, sein Roman ist auch in sich selbst sehr rhythmisch. Bestimmte Textzeilen tauchen immer wieder auf und werden dadurch nicht nur bedeutungsvoller, sondern verleihen dem Lesen auch einen sogartigen Charakter. Freischwimmen erzählt prägnant und eindrucksvoll von der Liebe in einer zerrissenen Gesellschaft, vom Schwarzsein in London, von der Angst, die damit einhergeht, und das in einem Debütroman von nur 200 Seiten.
Aufgrund der Kürze des Romans bleiben die zwischenmenschlichen Beziehungen schlussendlich eher wenig beleuchtet, aber der Hauptschauplatz von Caleb Azumah Nelsons Buch ist und bleibt das Innenleben des Protagonisten, welches auf beeindruckende Weise portraitiert wird.

Kampa Verlag, Zürich 20210; ISBN 9783311100768
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner.

*Die Mengederin Karen Elias (22) hat auf dem HHG in Nette ihr Abitur gemacht, bevor sie  in Freiburg ein FSJ absolviert und in Maastricht Liberal Arts and Sciences studiert hat. Nach ihrem Bachelor-Abschluss studiert sie derzeit im Masterstudiengang Literaturwissenschaft an der Ruhr-Uni Bochum.

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