Buchempfehlung des Monats

Mario Lars Bücher

Bettina Flitner: Meine Schwester

Der absolut großartig geschriebene autobiografische Roman ist leider zu Unrecht auf die Sachbuchseite der Bestsellerlisten geraten. Als Sachbuch bringt er wenig Neues zum Thema Depression und Suizid, als erzählerisches Werk aber ist er einfach nur fesselnd.
Das Cover übrigens zeigt die Fotografin Bettina Flitner und ihre Schwester in dem Moment, in dem Flitner sich und ihre Schwester im Spiegel fotografiert und beide uns direkt ansehen.

Gleich auf der ersten Seite wird man in die schrecklichen und faszinierenden Geschehnisse hineingezogen. Der Suizid der Schwester und der Mutter fast exakt 33 Jahre zuvor werden ohne jede Sentimentalität erzählt. Die ganzen Erinnerungen sind sehr angenehm nüchtern berichtet. Dabei ist der Ton leicht, oft schwebend und zum Teil von umwerfender Komik.
Flitners Schwester konnte schon als kleines Kind nie leiden, wenn etwas beschädigt, imperfekt war. Es musste sofort entsorgt werden. Das vollzog sie mit teils rabiater Härte. Reparaturen waren keine Option, da der Schaden so nicht ungeschehen gemacht werden konnte. Vielleicht hat sie sich, so Flitners Vermutung, weil seelisch beschädigt, einfach selbst ‚weggeräumt‘.
Die Geschichte der Familie ist ein Bündel unterschiedlichster Erzählungen. Anachronistische Großbürgerelemente, die beiden Mädchen übten bei ihrer Urgroßmutter, Mamazel genannt, Hofknickse, und Berichte über die permanenten, auch internationalen, Umzüge wechseln mit der Suche nach dem Punkt, an dem die ersten Brüche zu sehen waren, an dem man etwas hätte merken können – sowohl bei Schwester als auch Mutter.
Es gab noch weitere Freitode in der Familie. Depressionen waren insgesamt in das Familiengewebe eingeschrieben und wurden als vererbbares Gen betrachtet, das man hatte oder auch nicht.
Die berühmte Fotografin Flitner baut diese eben auch erschreckende und traurige Geschichte mit sehr gekonnten Sprachbildern in einer absolut stimmigen Gesamtkomposition zart, oft sehr heiter und präzise.

Hella Koch – Buchhandlung am Amtshaus

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