Buchempfehlung des Monats

Mario Lars: Bücher

Adriana Altares: Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Meine eigensinnige Tante

Teta Jele wird 101 Jahre alt. Noch im Seniorenheim ist sie ganz Dame: Vornehm, ja auch snobistisch legt sie Wert auf gute italienische Küche, gepflegte Unterhaltung, ihre geliebten Twinsets und Parfüm und Lippenstifte von Guerlain und Lâncome. Zeit ihres Lebens war sie selbstbewusst und eigen, mit einem eisernen Willen ausgestattet, stoisch und voller Grandezza, ein Quell ostentativ geäußerter Lebensweisheiten.

In dem von ihr bewohnten Teil eines alten Palazzo im norditalienischen Mantua hat sie zum nicht geringen Ärger der Nachbarn heimlich die Tauben gefüttert. Überhaupt waren ihr Tiere, vor allem ihre Hunde, und ihre Autos stets wichtiger als die Männer, egal ob ihr eigener oder ihre Liebhaber. In ihrer riesigen Wohnung hat sie edle Möbel, Kunstwerke, Schmuck, Kleidung, insbesondere Schuhe gehortet und zum Schutz vor Dieben mit einem komplexen Sicherungssystem diverser Schlüssel in einer Vielzahl von Kommoden, auch noch auf dem Boden und im Keller verstaut und dieses leider quasi unauffindbar zum besonderen Leidwesen ihrer Nichte, die von ihrer Tante regelmäßig auf Suchexpeditionen geschickt wird. 

Diese Nichte ist die Autorin. Adriana kam als Vierjährige für eine prägende Zeit zu ihrer Tante nach Italien, nachdem ihre Eltern aus Zagreb fliehen mussten. Hier lernte sie alles, was für das Leben wichtig ist: Haltung, Disziplin und Schwimmen. Teta Jele war lebenslang ein entscheidender Fixpunkt ihres Lebens. Als Jugendliche, mit ihren diversen Geliebten, die den hochherrschaftlichen, prüfenden Blick der alten Dame aushalten mussten, als Ehefrau und Mutter und nachdem ihr Mann sie einer Jüngeren wegen verlassen hatte – stets hatte die Tante genügend Alkohol, Pasta und die passenden pragmatischen Lebensweisheiten zur Hand: „Meglio soli, che mal accompagnati. Besser allein als in schlechter Gesellschaft“. 

In den zahlreichen Telefonaten der beiden während der Pandemie können wir dem bewegten Leben dieser ungewöhnlichen Frau folgen, dem Verlust ihrer großen Liebe, der Internierung im KZ Rab, dem Versteck auf einem Dachboden nach dem Entkommen, der gesamte Shoa eben. Sie hat auch die spanische Grippe und Corona überlebt. Nun ist ihr Verhältnis zum Tod mehr als entspannt: „Er sitzt wieder da, auf der Bettkante. Mein Freund. Er lächelt still vor sich hin. Schlawiner. Ich fürchte mich nicht, du Beelzebub. Eines Tages werde ich einfach nur nicken. Und einschlafen. So wird das sein.“ Ein Jahrhundertleben: „Alles ist gut. Ich verzeihe dir, G’tt.“

Hella Koch – Buchhandlung am Amtshaus

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