Weinen, ohne zu wissen warum
Die Veranstaltungsreihe Musik im Amtshaus (MiA) wird seit Oktober 2012 vom Stadtbezirksmarketing Mengede und dem Kulturzentrum Mengede e.V. angeboten. Seit Jahren erfreut sie sich steigender Beliebtheit und zieht inzwischen nicht nur Zuschauer aus den übrigen Stadtteilen sondern auch aus der Region an. Am vergangenen Samstag fand das zweite Konzert der siebten Saison im Festsaal des historischen Mengeder Verwaltungsgebäudes statt.
Und wieder einmal wurde den Zuhörern ein außergewöhnlicher Konzertabend geboten. Schon der Titel weckte romantische Gefühle. „Einsame Blumen“ nannte die vielfach ausgezeichnete Pianistin Natalia Ehwald ihr Solokonzert. Bei ihrem Spiel aus der Tiefe ihrer eigenen Empfindungen kamen nicht nur die Freunde der romantischen Kammermusik auf ihre Kosten. Es war ein Genuss für alle, der bereit waren, sich von den Klängen der Musik verzaubern zu lassen.
„Dieses Konzert wird uns in die Welt der Poesie und Phantasie, des Traums und des Wunderbaren, aber auch der menschlichen Zerrissenheit, kurz gesagt, ins Herz der Romantik führen.“ So beschrieb die künstlerische Leiterin Elisabeth Sedlack-Zeidler in ihrer Begrüßung treffend den Inhalt der Veranstaltung. Die Künstlerin Natalia Ehwald stellte sie mit folgenden Worten vor: „Bereits mit 16 Jahren studierte sie an der Sibelius Akademie Helsinki und wechselte danach in die Meisterklasse von Evgeni Koroliov an der Hochschule für Musik und theater in Hamburg. Preise bei nationalen und internationalen Wettbewerben, Radioaufnahmen und eine Lehrauftrag in Hamburg gehören zu ihrem Werdegang.“
Die Solistin begann das Konzert mit einer eher untypischen Komposition von Mozart. Im Rondo A-Moll drückte der vor allem für seine heiteren Werke bekannte Komponist seine Trauer über den Tod eines nahen Freundes aus. Als Hauptthema wählte er dabei eine schwermütige Melodie und setzte dem Rondo ein fast resignatives Ende. In der gefühlintensiven Interpretation der Pianistin passte das besonders zu den Stimmungen am Vorabend des Totensonntags. Nach einem kurzen Verweilen im vierten Teil von Schuberts „Moments Musicaux“, bei dem trotz der cis-Moll-Tonart eine gewisse Leichtigkeit zu erkennen ist, präsentierte die Künstlerin mit dessen Klaviersonate A-Dur einen wahren Edelstein seiner Werke. Natalia Ehwald interpretierte die drei Sätze meisterhaft in ihrer kontrastreichen Unterschiedlichkeit und mit der dem Werk innewohnenden eigentümlichen Doppelwirkung. Trotz der lebensfrohen Grundstimmung schwingt, wie oft bei Schubert, ein Hauch von Traurigkeit mit, den der bekannte Sozialwissenschaftler und Musikexperte Theodor W. Adorno treffend mit „Wir weinen ohne zu wissen warum“ beschrieben hat.
Im zweiten Programmteil standen Kompositionen von Robert Schumann als weiteren bedeutenden Vertreter der Romantik in der Musik im Mittelpunkt. Während bei den Dichtern Eichendorff und Heine der Wald verklärend als Sehnsuchtslandschaft dargestellt wird, wählt Schubert musikalisch einen differenzierten Ansatz. Während beim „Eintritt“ sich bei den Zuhörern die friedvolle Wirkung der Waldidylle einstellt, wird der „Jäger auf der Lauer“ als Bedrohung empfunden, beinhaltet die „Verrufene Stelle“ Todesängste, bis man schließlich die Herberge erreicht und beim Jagdlied an einen fröhlichen Jägerchor denkt. Zwischendurch verlieh die Pianistin dem „Vogel als Poet“ genau den geheimnisvollen Charakter, den der Komponist in diese für ihn wichtige Passage hineinlegte.
Das sechste Stück der „Moments musicaux“ von Schubert, in seiner As-Dur Tonart eine gewisse Ziellosigkeit und Hoffnungslosigkeit ausdrückend, sollte eigentlich das Konzertprogramm beenden. Doch erst nach vier Zugaben, mit denen die Pianistin zum Schluss ganz bewusst wieder eine beschwingte Stimmung aufbaute, ließ das begeisterte Publikum die Künstlerin von der Bühne. Die hatte während des gesamten Abends gezeigt, was es heißt, Meisterwerke der Romantik mit dem den gesamten Körper füllenden Einfühlungsvermögen, mit gefühlvollem Anschlag und leidenschaftlicher Intensität erklingen zu lassen.
„Das war ein Konzert, das einen wundervollen Übergang vom Totensonntag zur nun beginnenden Adventszeit bildete, so ausdrucksstark vorgetragen, dass ich bei einigen Zuschauern Tränen in den Augen gesehen habe“ stellte der ehemalige Verwaltungsstellenleileiter Michael Konrad in seinem Dank an die Künstlerin fest.
Die jüngste Zuhörerin des Abends, die 18-jährige Lena Wiotzik, die selbst seit 6 Jahren Klavier spielt, meinte: „Es war wunderschön, ich habe den ganzen Abend genossen“. Angelika Bohnhof konstatierte: „Uns wurde unsterbliche Musik präsentiert, die auch in 100 Jahre noch leben wird. Das hat mir die wundervolle Darbietung von Natalia Ehwald klargemacht.“ Christel Majewski war voll des Lobes für die Veranstaltungsreihe und den Ort: „Solche Veranstaltungen sind wichtig für unseren Stadtteil. Wo sonst gibt es ein so wundervolles Ambiente?“
Und die Künstlerin selbst, die schon Gastspiele auf renommierten Konzertbühnen in Europa, Amerika und Asien gegeben hat, meinte: „Für mich ist es wichtig, wie die Zuschauer meine Musik aufnehmen. Hier hatte ich ein tolles Publikum. Die Atmosphäre war einmalig und sehr emotional.“