Gerhard Schönfisch feierte seinen 100. Geburtstag

Großer Bahnhof für den ehemaligen Bahnbeamten

Bürgermeisterin Ute Mais überbrachte dem Geburtstagskind die Glückwünsche der Stadt Dortmund.

Eigentlich hatte sich Gerhard Schönfisch, der am Freitag (21.10.) seinen hundertsten Geburtstag feierte, keine Blumen gewünscht. „Bringt mir lieber eine Flasche Franzbranntwein mit, damit ich meine schmerzenden Glieder einreiben kann“, hatte er im Vorfeld geäußert. Aber dann kamen doch gleich mehrere Blumensträuße, während niemand an das alte Hausmittel gedacht hatte. Als eine der ersten überreichte Bürgermeisterin Ute Mais einen Blumenstrauß mit einer dazu gehörigen Urkunde, verbunden mit den Glückwünschen der Stadt Dortmund.

Wilhelm Tackenberg war in Doppelfunktion erschienen. Als Vorsitzender des evangelischen Männervereins sprach er dessen Glückwünsche mit einem Blumenstrauß aus, der etwa den dreifachen Umfang des Straußes der Stadt hatte.

Wilhelm Tackenberg gratulierte im Namen des evangelischen Männervereins und er Alten Apotheke am Bahnhof.

„Ich weiß gar nicht genau wie lange, aber so lange ich denken kann, ist Gerhard Schönfisch Mitglied unseres Vereins, auf jeden Fall mehr als 70 Jahre“, meinte Tackenberg. Dann  gratulierte er auch noch als Apotheker der  Alten Apotheke am Bahnhof. „ Gerhard Schönfisch war schon Kunde, als mein Schwiegervater noch die Apotheke führte“ erklärte er. 

Der zweitälteste Gast war Uli Heide, inzwischen 93 alt, der den Jubilar regelmäßig besucht und auch ein kleines Präsent mitbrachte. Zwischendurch gab es musikalische Ständchen. Günter Junghans ließ seine Drehorgel erschallen und Hans-Ulrich Peuser überbrachte zusammen mit Schönfischs Sohn Gisbert musikalische Grüße vom Posaunenchor. Insgesamt hatten sich so viele Gäste angesagt, dass die Familie die Feier durch Zerlegung in drei Teile entzerrte.

“Happy birthday to you.” Günter Junghans gratulierte mit einem Ständchen aus dem Leierkasten.

Pfarrer Gerd Springer war als Vertreter der Evangelischen Noah Gemeinde gekommen, um seine Glückwünsche und seinen Dank auszusprechen. Schönfisch war 25 Jahre Presbyter in der damaligen evangelischen Remigius Gemeinde. Während dieser Zeit hat er kaum einen sonntäglichen Gottesdienst verpasst. Manch einer, der  ihn damals erlebte, erinnert sich noch daran, dass sich seinem fordernden Blick kaum jemand entziehen konnte, wenn er mit dem Klingelbeutel rumging. Sein Gesang aus der Presbyterbank erschallte so laut, dass er selbst in der letzten Reihe der Kirche  herauszuhören war.  

Zum Sterben abkommandiert und dann mit schwerer Verletzung den Krieg überlebt
Dass Gerhard Schönfisch heute noch lebt und trotz aller altersbedingten gesundheitlichen Einschränkungen immer noch lebendig wirkt, grenzt an ein Wunder. Dabei hatte man ihn eigentlich schon vor 80 Jahren zum Sterben abkommandiert. Er gehörte damals dem Flakregiment 32 an, das am Einsatzort Berlin den Marschbefehl in Richtung Osten bekam. Geschichtlicher Hintergrund: Die Italiener hatten sich als Verbündete Deutschlands an der Ostfront zurückgezogen. Im November 1942 wurden 230.000 Soldaten der sechsten Armee in Stalingrad eingekesselt. “Ich rechnete damit,  dass es in Richtung Wolga ging. Mit meinen 20 Jahren hatte ich mächtig Schiss in der Buchse“, gesteht Schönfisch, „ aber dann durften wir in Krasnowska-Schewakowa den Zug verlassen und wurden zu einem anderen Einsatzort geschickt.“ Schönfisch sieht diese Wende als göttliche Fügung. Dann hat es ihn aber doch noch erwischt. 1944 kämpfte er im „Kaminski Kessel“, in der heutigen Ukraine. Am 4.4. durchbohrte ein Granatsplitter seinen Körper in der Beckengegend. Ein- und Austrittsstelle sind heute noch zu sehen.

Noch bis Mitte 90 war Gerhard Schönfisch oft allein mit dem Rollator unterwegs. Als ehermaliger Presbyter nahm er gern an Veranstaltungen rund um die Evangelsiche Remigiuskirche teil. Im Hintergrund der 2019 verstorbene Lokalreporter Charly Bohnmann.

„Ich wurde mit der JU 52 herausgeflogen und verbrachte ein Jahr im Lazarett, erst in  Polen, dann in Budweis in Tschechien“, berichtet Schönfisch, „siebenmal wurde ich von Stabsarzt Dr. Klein operiert. Erst bei der letzten Operation war das Bein gerettet.“ Wenn es auch für immer steif war, er konnte wieder laufen. Auch hier ist er als gläubiger Christ der Meinung, dass Gott seine Hand im Spiel hatte.

Kein Pardon für Schwarzfahrer
Nach dem Kriege arbeitete Schönfisch als leitender Bahnbeamter am und im Bahnhof Mengede, der bis in die 60-er Jahre noch aus einem schmucken Bahnhofsgebäude bestand, mit Fracht- und Expressgutabfertigung, geräumiger Eingangshalle und einer Bahnhofsgaststätte, die früher noch die Bezeichnung Wartesaal trug.  Häufig kontrollierte er an der „Sperre“ des damals einzigen Bahnsteiges in Mengede die Fahrkarten der ankommenden und abfahrenden Reisenden. Wer Fahrgäste abholte oder wegbrachte, benötigte eine Bahnsteigkarte, die 10 Pfg. kostete. Trotz seiner Behinderung scheute er sich nicht, dem einen oder anderen „Prellbock“ nachzulaufen, der sich ohne Fahr- oder Bahnsteigkarte an ihm vorbeidrücken wollte. „Ein Oberstudienrat aus Mengede war ein notorischer Schwarzfahrer, er kaufte sich eine 10-er Karte und versuchte immer wieder, jede mehrmals zu benutzen.“ Später nach Schließung des Mengeder Bahnhofs arbeitete er im Eisenbahnbetrieb in Dortmund.

Dass Schönfisch auch im hohen Alter noch allein in seiner Wohnung leben kann, ist nur möglich, weil er von seiner Familie unterstützt wird. Tochter Iris trägt dabei die Hauptlast. Erst seit September dieses Jahres nimmt sie die unterstützende Hilfe eines Pflegedienstes in Anspruch. Die hätte sie eigentlich schon viel eher gebrauchen können, aber es scheiterte am Widerstand ihres Vaters, der der Allgemeinheit nicht zur Last fallen wollte. Was wünscht sich der Jubilar von der Zukunft? „Weniger Schmerzen im Bereich des Oberarms.“

“Die Wunde an der Stirn tut überhaupt nicht weh.” Gerhard Schönfisch bei seiner Geburtstagsfeier am 21.10.

Dort quält ihn ein nicht verheilter Bruch, der auch zu einer Teillähmung der rechten Hand geführt hat. Da hilft der Franzbranntwein als Hausmittel schon seit Längerem nicht mehr. Seit Kurzem bekommt er stärkere Schmerzmittel. Die wurden am Vorabend seines Geburtstags geliefert. Als er ohne Rollator hastig die Tür öffnete, stürzte er und zog sich eine stark blutende Kopfverletzung zu, die im Krankenhaus behandelt werden musste. Nachts um halb zwölf war er wieder zu Hause. Auf eigne Verantwortung entlassen, denn die Feier seines hundertsten Geburtstages wollte er auf keinen Fall verpassen. „Die genähte Wunde an der Stirn tut auch überhaupt nicht weh“, behauptete er, während Tochter Iris ihn kritisch anblickte.

Fotos: Diethelm Textoris.

 

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